224 - Im Turm des Warlords
durchsetzen konnte, überlebte nur mit sehr viel Glück.
Unser Kurs, der diesmal nicht an der Küste entlang führte, brachte uns über verstepptes Land. Gegen Mittag sichtete Aruula, die den Ausguck machte, einen von drei Gestalten umstandenen Planwagen. Der Gedanke lag auf der Hand, dass es einem klugen Mädchen wie Keetje mit Leichtigkeit gelingen würde, einen Fuhrmann zu überreden, sie mitzunehmen. War sie vielleicht an Bord des Gefährts?
Mit Hilfe des Bord-Binoculars fand Aruula heraus, dass eine Achse des Fuhrwerks gebrochen war. Ich brachte die Roziere in Bodennähe. Aruula und Yann sprangen mit Ankertauen hinaus und befestigten sie an Bäumen. Die Fuhrleute, die unsere Landung beobachtet hatten, wirkten sehr ehrfürchtig, als ich mich ihnen näherte. Vermutlich hatten sie nie zuvor ein Luftschiff gesehen.
Bald darauf stand ich vor drei indisch wirkenden Männern mit pechschwarzen Zöpfen. Ihr Anführer trat gleich einen Schritt vor und stellte sich in holperigem Englisch als Hetman Lulungu vor, wobei »Hetman« einen Titel darstellte. Ich schätzte ihn auf Anfang vierzig, obwohl er natürlich ebenso dreißig wie fünfzig sein konnte. Er hatte faszinierend weiße Zähne und wunderschöne schwarze Augen, die so treuherzig dreinschauten, dass es mir schwer fiel, einen Soldaten in ihm zu sehen.
»Ich heiße dich willkommen im Land unseres gütigen Herrn«, sagte er und reichte mir einen Wassersack. »Ich bin seine neue Erste Hand.« Er deutete auf seine Begleiter, die ihm glichen, doch ungefähr zehn Jahre jünger waren. »Dies sind meine tapferen Getreuen.« Er nannte ihre Namen, die ich gleich wieder vergaß; ich war noch damit beschäftigt, mir seinen zu merken.
Ich trank von dem kühlen Wasser und bedankte mich. Bevor ich Lulungu nach einer weißen Frau mit rotem Haar fragen konnte, sagte er, indem er auf den beschädigten Planwagen deutete: »Unser Herr wird nicht fern von hier von feindlichen Truppen belagert. Er hat uns losgeschickt, damit wir die feindlichen Linien durchbrechen und Hilfe holen. Mit eurem Flugapparat könnte er seine Feinde aber abwehren, wenn nicht gar vernichten. Wäre es zu viel verlangt, wenn ihr eure Reise unterbrecht, um ihm in seiner Not zu helfen?«
Da war sie wieder, die Bitte, der sich nur ein Egoist entziehen kann: Da ist ein Mensch in Not. Ihm droht der Tod. Alle wissen, wie gütig er ist. Sein Widersacher, der an seinem Stuhl sägt, ist der Sendbote der Hölle.
Ich kannte das schon aus den Zeiten, in denen wir Jets gegen die Tyrannen der Erde hätten einsetzen können. Eigenartigerweise hatten wir diese Typen aber immer unterstützt.
Ich wollte auf keinen Fall Partei in diesem Kampf ergreifen. Ich wusste nicht, wer die Guten und wer die Bösen waren. Außerdem hatten wir keine Zeit: Wenn Keetje in diesem heißen Klima zu Fuß unterwegs war – und danach sah es aus –, mussten wir sie schnellstens finden.
»Ich schätze deine Gastfreundschaft, Hetman«, sagte ich in einem Ton, der keinen Zweifel daran aufkommen ließ, dass ich es ehrlich meinte, »aber leider sind mir die Hände gebunden.« Ich sah die Enttäuschung in Lulungus Augen und fügte rasch hinzu: »Aber auch wir dienen einem Herrn – und er ist sehr streng.« Ich deutete auf das Luftschiff und meine Gefährten, die uns gespannt beobachteten. »Wir suchen eine seiner… Nichten, die aufgrund von Verrat in die Sklaverei verkauft wurde …« Ich berichtete kurz, wie Keetje den Menschenhändlern entkommen war, und schilderte ihre vermutlich inzwischen dramatische Lage. »Sie ist weiß wie ich und hat rotes Haar. Wir nehmen an, dass sie in dieser wasserlosen Öde nicht lange überlegen kann. Habt ihr sie vielleicht gesehen?«
Lulungus Lippen verzogen sich unerwartet zu einem Lächeln. Seine wackeren Getreuen fingen fröhlich an zu lachen. »Heißt sie etwa Keetje?«
Ich stutzte. »So ist es! Ihr kennt sie also?«
»Welch wunderbarer Zufall!«, rief der Hetman aus. Ich sah ihm an, dass er sich zusammenreißen musste, um nicht vor Freude zu tanzen. »Eine rothaarige weiße Frau dieses Namens ist bei meinem Herrn zu Gast!«
Seine ehrlich erfreuten Gefährten nickten so eifrig zu seinen Worten, dass ich keinen Grund hatte, ihm zu misstrauen. Außerdem hatte er Keetjes Namen zuerst ausgesprochen.
»Seid ihr nun bereit, uns mit eurem Flugapparat dorthin zu fliegen, wo unser Herr ausharrt?«
***
Es wurde Abend, als wir den Turm sichteten.
Er stand in einer bizarren Landschaft: Er thronte auf einem von
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