224 - Im Turm des Warlords
Brandung schlugen.
Wir folgten der Küstenlinie nach Süden. Aruula schwang sich in die Hängematte. Ich löste Yann am Ruder ab.
Wir warfen einen langen Schatten. Es wurde Mittag und Nachmittag. Die der Küste Madagaskars vorgelagerten Inseln wurden zahlreicher, und irgendwann, als es zu dämmern anfing und ich die Augen nicht mehr aufhalten konnte, erwachte Aruula und übernahm das Ruder.
»Aye.« Aruula nickte. Als ich die Hängematte entern wollte, hatte Yann sie schon belegt.
Aruula lachte, als sie meine frustrierte Miene sah, und ich nahm auf dem Boden Platz und lehnte mich rücklings an die Gondelwand.
***
Ich hatte die feste Absicht gehabt, nur für fünf Minuten die Augen zu schließen, doch als ich sie öffnete, war es stockdunkel.
Am Himmel stand das Kreuz des Südens oder was ich dafür hielt. Leiser Wind wehte mir ins Gesicht. Als ich den Blick hob, merkte ich, dass wir keine Fahrt machten.
Ich konnte aus der Gondel schauen und sah hohes Gras. Während ich geschlafen hatte, waren Aruula und Yann gelandet und hatten unser Gefährt an den Ästen eines knorrigen Baumes verankert. Ein Feuer brannte im Freien; würzig duftende Koteletts drehten sich über einem kleinen Lagerfeuer.
»Hallo, Langschläfer«, begrüßte mich Aruula, als ich aus der Gondel sprang, die nur einen halben Meter über dem Boden schwebte. »Hast du Hunger?«
Mir fiel der alte englische Witz mit dem Pferd ein (»I’m so hungry, I could eat a horse.«) , doch ich gab ihn nicht zum Besten, denn weder Aruula noch Yann hätten ihn verstanden, weil man in dieser Zeit grundsätzlich alles aß, sogar Ratzen am Stiel. »Und ob.«
Yann reichte mir eins der Steaks, die sich auf seinem Spieß drehten. Es schmeckte köstlich, zumal wir Salz hatten. Während ich meine Zähne in das Fleisch schlug, erkundigte ich mich, wo wir waren.
Aruula deutete hinter mich. »Da drüben ist die Bucht von Nosii Be. Da gibt es einen Landesteg und ein paar Hütten, in denen vermutlich Fischer wohnen.«
Ich drehte mich um. Die Nacht war hell. Ich sah zehn oder zwölf an einem Hang geschmiegte Hütten und mehrere Boote, aber einen Großsegler konnte ich nicht erkennen. Sie waren keinen Kilometer entfernt.
»Was ist mit der Quakadu?«
»Das einzige Schiff, das vor der Küste liegt, ist ein ausgebranntes Wrack«, erwiderte Aruula. »Den Namen am Bug kann man noch erkennen. Yann sagt, es wäre das Schiff, das wir suchen.«
»Ein Wrack?« Ich stand auf und kniff der besseren Sicht wegen die Augen zusammen. »Wrack« klang nicht gut. Hatte dieser verfluchte Menschenhändler uns belogen? »Was kann da passiert sein?«
»Wir wollten warten, bis du ausgeschlafen bist, bevor wir uns danach erkundigen.« Yann räusperte sich. »Ich hab einen schlimmen Verdacht.«
Ich schaute ihn an. »Erzähl mir mehr.«
»Lieber nicht.« Er schüttelte den Kopf. Dann deutete er zu den Hütten hinüber. »Gehen wir zusammen?«
Ich überlegte kurz. »Zu riskant. Wir wissen nicht, was für Typen da wohnen. Besser, zwei von uns bleiben hier, um den dritten notfalls rauszuhauen.«
»Und wer soll dieser Dritte sein?«, erkundigte sich Aruula, obwohl sie es schon ahnte.
Ich weiß nicht, was mich dazu trieb, den Job zu erledigen und mich in Richtung der Fischerhütten in Bewegung zu setzen. Vielleicht waren es die Shantys, die nun in der Ferne erklangen, oder das leise Klimpern der Saiteninstrumente.
Jedenfalls fühlte ich mich ausgeruht und sentimental genug, um einer Göre nachzuspüren, die man nur gern haben oder in die tiefste Hölle wünschen konnte.
Unterwegs sah ich außer einigen ziegenähnlichen Vierbeinern niemanden. Auf den am Steg vertäuten Booten saßen einige hagere Kerle und pafften ein süßliches Kraut, das mich an meine Studentenzeit erinnerte.
Am Ufer hockten zwanzig oder dreißig abgerissene Seeleute und ein halbes Dutzend angekettete Frauen um drei oder vier Lagerfeuer herum. Die Seeleute waren hellhäutiger als die Madagassen und wirkten wie eine Mischung aus braungebrannten Europäern und Arabern. Sie waren von zahllosen Kisten und Säcken umgeben, die ihren Lagerplatz wie ein Schutzwall umgab. Dabei handelte es sich vermutlich um die Gegenstände, die sie von ihrem gesunkenen Schiff gerettet hatten.
Dann sah ich, vielleicht zweihundert Meter vom Ufer entfernt, das vordere Drittel eines Schiffes aus dem Wasser ragen. Den Namen konnte ich wegen der Dunkelheit nicht erkennen, aber als ich die lagernden Männer ein leierndes Französisch parlieren
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