2244 - Bürgergarde Terrania
seinen Unarten zu ertragen. Am schlimmsten waren seine nicht enden wollenden Geschichten aus seiner Zeit als Stationsarzt. Sie kannte inzwischen die Namen aller Krankenschwestern, mit denen er es je zu tun gehabt hatte - oder hoffte zumindest, dass nicht noch mehr dazukamen. Krankenschwestern! Im Zeitalter der hoch qualifizierten Medo-Roboter! Nun ja, derzeit konnte man sie wieder brauchen, denn menschliche Gehirne machten angesichts der erhöhten Hyperimpedanz nicht so leicht schlapp wie Syntroniken.
Maggie glaubte noch nicht einmal die Hälfte von dem, was Schneider zum Besten gab. Der Mann war ein lebender Anachronismus. Natürlich, er klang fast überzeugend, wenn er behauptete, dass es sich beim Augustinus-Medo-Center um ein Retro-Krankenhaus handelte, also um eines, das ganz bewusst auf Nostalgie setzte. Angeblich zahlten - in der Regel wohlhabende - Patienten hohe Preise dafür, „menschlich" behandelt zu werden; so wie früher eben, vor zwei-, dreitausend Jahren. Sie kamen aus allen Teilen des Solsystems, um nicht von Maschinen, sondern von einem echten Professor und seinem Ärztestab behandelt zu werden - in Maggies Augen auf schon gefährlich naive, vorsintflutliche Art und Weise. Und sie wollten eben von Schwestern in weißem Kittel umsorgt werden oder von jungen, netten Pflegern.
Für Maggies Begriffe lebte Schneider in einer Phantasiewelt. Er hatte ihr Holos von sich als Arzt gezeigt, schon damals mit Schnäuzer und Bierbauch - und mit einer altmodischen Brille. Sie hatte beeindruckt getan, sie wollte ja keinen Streit. Aber überzeugen konnte er sie auch damit nicht. So etwas konnte man leicht stellen - oder nachstellen.
Ach, was soll's, dachte sie, als er eine neue Zigarre aus seiner Brusttasche holte und anzündete. Sie drehte sich demonstrativ von ihm weg. Jeder Mensch hatte seine Macken - da durfte gerade sie nicht den ersten Stein werfen. Im Grunde war er ein gutmütiger Kerl, und seine Ticks waren vielleicht nur Chip Greuthers Begeisterung hielt sich in Grenzen. Natürlich war auch ihm bewusst, was die Ankunft der TOMBA im Solsystem zu bedeuten hatte. Für ihn und sein kleines Team bedeutete sie allerdings noch etwas mehr als für die Menschen auf der Erde und den Planetenkolonien. Die TOMBA war nicht mehr und nicht weniger als sein Auftrag: das, worauf er, Schneider und Maggie sechs Tage lang gewartet hatten.
Ihr Auftrag war, dafür Sorge zu tragen, dass das Schiff sicher auf der Erde landen konnte. Residor befürchtete ein Terrorattentat eines Jüngers von Gon-Orbhon -eine Jüngers, der womöglich erst in dem Augenblick „erweckt" wurde, in dem die TOMBA „sich innerhalb der Grenzen des Solsystems befand. Residor fürchtete, so bizarr es in Greuthers Ohren klang, dass es zu einem Selbstmordattentat an Bord des Frachtraumers kommen könnte; dass die TOMBA im Anflug auf den Raumhafen in die Luft flog, womöglich über Terrania, um maximalen Schaden anzurichten.
Und so waren Greuther und seine Crew abkommandiert worden, um an Bord des Handelsschiffes für Unruhe zu sorgen, dafür, dass sich ein Jünger Gon-Orbhons nicht sicher fühlen konnte, sondern sich ständig beobachtet wähnte. Jedermann war klar, dass drei TLD-Agenten keinesfalls die komplette Mannschaft eines 500 Meter durchmessenden Raumers unter Kontrolle halten konnten, geschweige denn einen einzelnen Kultisten ausfindig machen. Darum ging es auch eigentlich nicht: Es musste genügen, wenn ein potenzieller Saboteur keine Gelegenheit erhielt - oder das zumindest glaubte -, zur Tat zu schreiten. Greuther hielt dieses Vorgehen zwar für mindestens so bizarr wie den Gedanken dahinter, aber Befehl war Befehl, und Chip Greuther würde genau das tun, was Residor von ihm erwartete: seine Space-Jet in die TOMBA einschleusen, bevor sie den Erdorbit erreichte, und sicherstellen, dass es zu keinem Zwischenfall kam.
Die WAYMORE befand sich bereits auf dem Weg. Auf halber Strecke zwischen Erde und Mars würde sie von dem Raumschiff aufgenommen werden. Greuther hatte schon mit der Kommandantin gesprochen, einer noch ziemlich jungen Frau namens Eyla Comarro. Die TOMBA war ein terranisches Schiff.
Die Kommandantin gab sich keine Mühe zu verbergen, dass sie die Befürchtungen des TLD für absolut überflüssig hielt. Sie hatte nach der Ankunft im Solsystem erst einmal über die Kirche Gon-Orbhons und dessen fanatische Anhänger aufgeklärt werden müssen. Für sie und ihre Mannschaft war das alles neu. Sie schien es nicht besonders ernst zu
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