2248 - Friedenskämpfer

Hinrichtung zu befehlen und die Schiffsgeschütze im Salventakt feuern zu lassen. Er wusste, dass ihn nichts mehr aufhalten konnte.
    Mit der Geschmeidigkeit einer Raubkatze schnellte Lyressea herum. Ihren Bruder Hytath stieß sie ebenso kraftvoll zur Seite wie Catiaane. Ihre Arme zuckten vor, die Linke verkrallte sie in den Sinneshaaren des Gegners, die Nägel der anderen Hand bohrten sich in seinen Hals. Gemeinsam stürzten sie zu Boden.
    Töte ihn!, dröhnte es unter Lyresseas Schädeldecke. Wenn du versagst, wird er euch umbringen.
    Ihre Fingernägel stachen zu. Sie musste nur kräftiger zupacken - aber sie konnte es nicht. Mit einer harten, ruckartigen Bewegung der linken Hand zerrte sie den Kopf des Gegners hoch und stieß ihn auf den Boden zurück. Es dröhnte dumpf, dann wurde sein Körper schlaff. Er hatte die Besinnung verloren.
    Als Lyressea den Blick hob, sah sie die stumme Phalanx der Insektoiden. Ein Dutzend und mehr Waffen waren auf sie gerichtet. Lyressea begriff, dass ihre Geschwister und sie diesen Moment nicht überlebt hätten, hätte sie den Kommandanten getötet. „... ich habe gehofft, dass du sein Leben schonen würdest. Obwohl er für dich der Gegner schlechthin sein musste. Er hat Wanderer bedroht, dazu dich selbst und deine Geschwister."
    Lyressea blinzelte verwirrt in die Runde.
    Da war kein fremdes Raumschiff mehr mit einer insektoiden Besatzung, und über der Maschinenstadt lag ein sonnenüberfluteter Nachmittag. Die Panoramaverglasung erlaubte einen wundervollen Rundblick bis weit über den Wasserfall hinaus. In der Ferne quollen Altocumuluswolken auf. „Gut gemacht!", lobte Hytath knapp, wie es seine Art war. Er saß neben ihr, ebenfalls halb zurückgelehnt, in einem Sessel aus purer Energie. Rechts von ihm Eithani und Atjaa. Catiaane und Metondre flankierten Lyressea zur Linken.
    Die Sessel waren in einem Halbkreis gruppiert, in dessen Mitte Homunk stand. Lyressea erschauerte, weil sein Blick länger als nötig auf ihr verweilte. Auch wenn er sich selbst als ihr Bruder bezeichnete, er war mehr. Nicht nur älter und deshalb erfahrener. Lyressea empfand ihn längst als einen Teil von ES. Sie spürte den Hauch von Ewigkeit, der Homunk umgab. „Lyressea hat am besten reagiert."
    Er war für sie unerreichbar, ein Wesen auf der nächsthöheren Entwicklungsstufe. „Die Niederschwellen-Telepathie erlaubt ihr, zwischen wahr und falsch zu unterscheiden. Ich bin sicher, dass sie diese Fähigkeit weiter perfektionieren wird ..."
    Immer noch geisterten die Trugbilder durch ihren Kopf. Was sie erlebt hatte, war einer der letzten Tests gewesen, die Prüfung, ob sie ihrer Aufgabe gewachsen sein würden. Homunk hatte über die Folgen eines Versagens kein Wort verloren, als wäre er überzeugt gewesen, dass es keine Probleme geben würde. Falls aber doch?
    Lyressea konnte nicht anders, als daran zu denken. Was wäre aus ihr und den anderen geworden? Hätte ES sie verstoßen? „Immer werden Zweifel bleiben", sagte Homunk nun auf seine ruhige und beeindruckende Art. „Gewissheit kann es im Spiel kosmischer Mächte nicht geben. Jeder von euch hat bewiesen, dass er Leben achtet, in welcher Form auch immer, dass er aber ebenso bereit ist, ungewöhnliche Mittel anzuwenden. Vor allem, dass er sogar Freunden kritisch gegenüberstehen kann. - Nein, Metondre, du musst nicht zu einem Widerspruch ansetzen, es ist so. ES würde niemals ein Hilfsvolk ausschicken, um grundlos ein bewohntes Sonnensystem zu zerstören.
    Vielleicht, weil ES als Superintelligenz dem Geschehen noch zu nahe ist. Du fragst dich jetzt, was eine Weiterentwicklung hin zur Materiequelle oder zum Kosmokraten bewirken würde? Ein Denken in anderen Dimensionen, in dem das Leben im vierdimensionalen Raum-Zeit-Kontinuum nur noch Manövriermasse ist, nicht mehr als ein farbenprächtiges Insekt, das man für wenige Augenblicke bestaunt, ehe man seiner überdrüssig wird? Ich bin sicher, ES würde die Verbindung zu seinen Wurzeln niemals freiwillig aufgeben.
    Aber ich würde dafür nicht die Hand ins Feuer legen."
    Das war er also, der seit langem befürchtete Abschied. Homunk mahnte auf besondere Weise ihre Loyalität an. „Ihr werdet als Botschafter für ES nach Tan-Jamondi II gehen. Zugleich als Wächter, damit die dortigen Aktivitäten sich niemals gegen ES selbst oder die von ES vertretenen Werte richten können."
    Seit ihrer Bewusstwerdung waren mehr als vier Jahrhunderte vergangen - außerhalb von Ambur. Lyressea hatte nicht darauf