2256 - Bahnhof im Weltraum
hinausgeschrien, doch sie tat es nicht. Es war sinnlos.
Eine Weile hatte sie gebrüllt und getobt, wütend gegen die Zellenwände getrommelt und verlangt, dass man ihr erklärte, warum sie verhaftet worden war, aber ohne Erfolg.
Niemand hatte auf ihre Proteste reagiert.
Es schienen sich auch keine anderen Gefangenen im Zellentrakt zu befinden oder wenn doch, dann mussten sie so lethargisch sein wie der Rest der Infizierten.
Die Angst, die sie umklammert hielt, seit sie von Kortez Melanders spurlosem Verschwinden erfahren hatte, war wie eine große Last, die schwer auf ihre Seele drückte, ihr den Atem nahm und sie schwach machte.
Unwillkürlich dachte sie an die gespenstische Szene in der Kantine, an die Männer und Frauen, die wie ausgehungerte Tiere über die wahllos zusammengestellten Speisen hergefallen waren und .gierig alles in sich hineingestopft hatten. Und an DaRiba und seine unerklärliche Veränderung, an den Hass, der aus seinen Augen gesprochen hatte, und die kleine rötliche Schwellung an seiner Hand, die ihr bereits bei den anderen infizierten Crewmitgliedern aufgefallen war.
Sie war überzeugt, dass sie diese Schwellung auch bei Chan-Li entdeckt hätte, hätte sie Gelegenheit gehabt, die Kommandantin näher zu untersuchen.
Ihre Gedanken wanderten weiter zur RICHARD BURTON, deren Ankunft unmittelbar bevorstehen musste, und sie fragte sich, ob die Besatzung des Omni-Trägerschiffs ebenfalls dieser Seuche zum Opfer fallen würde. Aber Residenz-Minister Reginald Bull war ein erfahrener Mann, ein Unsterblicher, der in seinem Jahrtausende währenden Leben schon viele Krisen und Gefahren gemeistert hatte.
Vielleicht würde er die Bedrohung rechtzeitig erkennen und entsprechend reagieren.
Wenn nicht, waren sie alle verloren.
DaRibas unerklärliche Aggression konnte durchaus das zweite Stadium dieser Krankheit sein. Womöglich würde sich die Crew des Weltraumbahnhofs gegenseitig zerfleischen. Sie würden alle sterben, hier im Leerraum zwischen den Galaxien, wo niemand ihre Schreie hörte.
Sie schauderte, lehnte sich an die Wand und schloss die Augen.
Die Hilflosigkeit war das Schlimmste. Alles andere hätte sie ertragen können, aber nicht diese erzwungene Tatenlosigkeit, das Eingesperrtsein in diesem kahlen, stillen Raum.
Ein plötzlicher Laut ließ sie zusammenfahren.
Sie riss die Augen auf und horchte.
Schritte näherten sich. Sie kamen von rechts, von der Kontrollkabine. Sie sprang auf und trat an die flimmernde Kraftfeldbarriere, erleichtert, dass endlich jemand kam, um nach ihr zu sehen, und gleichzeitig beklommen, von einer düsteren Vorahnung erfüllt.
Vielleicht hatte man entschieden, dass sie eine Belastung war, die es zu beseitigen galt.
Vielleicht würde man sie töten.
Ein Schatten tauchte an der im Halbdunkel liegenden Kontrollkabine auf, doch der ISA-Mann hinter der Stahlglasscheibe reagierte nicht. Er starrte weiter ins Leere, in seiner eigenen Welt verloren, blind für alle Reize, die von außen kamen.
Der Schatten trat ins Licht des Zellentraktgangs und entpuppte sich als kleiner, dicker Mann im himmelblauen Overall der Wartungscrews.
Cilia hätte fast aufgeschrien.
Nigel Nesson!
Und er wirkte völlig normal, unbeeinflusst. „Den Sternen sei Dank!", keuchte sie. „Ich hätte nie erwartet, dass ..."
„Still!", zischte der Supervisor, als er mit leisen Schritten durch den Korridor eilte und vor der Kraftfeldbarriere ihrer Zelle stehen blieb.
Er hielt eine positronische Hackerbox in der Hand und hatte einen Waffengurt mit zwei Paralysatoren um die Hüften geschlungen. Sein pausbäckiges Gesicht war gerötet, Schweiß glänzte an seiner Stirn. Er drückte die Hackerbox an das Kraftfeldpaneel, gab mit fliegenden Fingern einige Befehle ein und wartete. Einen Moment später erlosch das Feld.
Cilia war frei.
Sie legte ihre Arme um den Hals des kleineren Mannes, und die Anspannung der letzten Stunden, die hilflose Verzweiflung und die Angst entluden sich in einem lauten Schluchzer. „Schon gut", flüsterte er beruhigend. „Wir müssen leise sein. Noch sind wir in Gefahr."
Er nahm ihre Hand und wollte sie Richtung Kontrollkabine ziehen, doch sie wehrte sich. „Was ist mit dem ISA-Mann?", fragte sie furchtsam. „Wenn man die Infizierten nicht direkt anspricht, reagieren sie nicht", wisperte der Supervisor zurück. „Komm jetzt."
Zögernd folgte sie ihm und schlich auf Zehenspitzen an der Kontrollkabine vorbei, aber Nesson hatte Recht. Der Wachmann in der roten
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