227 - Herr des versunkenen Reiches
schlugen im Fallen gegen den Nachbarn, Querverbindungen sanken brechend ab und verschwanden in aufstrebenden Wolken aus Sand und Muschelresten.
Bis ein Alarm das ferne Stadtzentrum erreichte, lag der Außenbezirk schon in Schutt und Asche. Wären ausschließlich Gebäude betroffen gewesen, hätte man dieses Unglück verschmerzen können, doch auf Pozai’dons Geheiß lebten die Arbeiter für die Zeit der Bauphase in der Nähe ihrer Werkstätten. Tausende kleiner bionetischer Unterkünfte klebten wie Pilzhüte am Boden des Außenbezirks, auf jeder freien Stelle zwischen den Fabriken.
Die Arbeiter hatten keine Chance. Wen der Trümmerregen verfehlte, den holten die Mar’os-Krieger aus dem Schlaf. Auch wenn sie nicht mit dem Vorsatz nach Gilam’esh’gad gekommen waren, ein Blutbad anzurichten, so taten sie es dennoch. Gründlich und ohne Gnade.
Als die Wachphase begann, war alles Leben auf den einstigen Fabrikanlagen ausgelöscht. Pozai’dons Untertanen betrauerten ihre Toten und überließen den zerstörten Vorort für lange Zeit den Langusten, Fischen und Tiefseeschnecken… solange, bis der Feind glaubte, der Bau der Waffe wäre verworfen worden. Im Verborgenen forschte man jedoch weiter an dem Molekularbeschleuniger, verringerte vor allem seine Größe, und schließlich gelang es in nur wenigen Wochen und unter strengster Geheimhaltung, ihn zu errichten und gegen Martok’shim’re einzusetzen.
Doch wer dachte, dass damit der Krieg zwischen den Hydritenvölkern beendet wäre, beging den selben Fehler wie alle Mächtigen, die auf die Wirkung eines einzigen Vernichtungsschlags vertrauten und vorschnell den Frieden ausriefen, während es unter der Oberfläche weiter brodelte und neues Unheil heranwuchs.
Es sollte noch weitere Jahrtausende dauern, bis sich ein Held namens Ei’don erhob und eine Anhängerschar um sich versammelte, die den Mar’os-Kult in die dunkelsten Bereiche der Ozeane zurücktrieb, seinen Einfluss fast gänzlich zum Erliegen brachte und die Hydriten zu neuer Blüte führte. Heute lebten nur noch wenige Mar’os-Konklaven am Rande der Gesellschaft, die meisten von ihnen durch den Fleisch- und Fischgenuss zu barbarischen Kreaturen degeneriert.
Dies alles geschah vor ewigen Zeiten. Martok’aros und Pozai’don waren ins Dunkel der Geschichte eingegangen. Nur Gilam’esh, der Prophet vom Rotgrund, der Ork’huz selbst nie betreten hatte, und Ei’don, der Heilsbringer und Reformator, waren noch in aller Munde; schließlich lebten die heutigen Hydriten nach ihren Idealen.
Gilam’esh’gad war erblüht und verwelkt. Von dem Vorort, an dem einst das Blut so vieler Hydriten vergossen worden war, existierten nur noch Fragmente innerhalb der Erholungsanlagen, die man als Mahnmal hatte stehen lassen. Shaa’quil hieß er heutzutage. Das Wort stammte aus dem Mar’os-Dialekt und bedeutete so viel wie zerstört, zerschlagen. Es passte zu der düsteren, von Algen verhangenen Ruine, in der man auch jetzt noch keinen Stadtbewohner antreffen würde.
Und dennoch lebte dort jemand.
Sein Name war Agat’ol. Ein Mar’os-Jünger. Eine seltsame Kreatur, unglücklich und bösartig zugleich, gestrandet auf feindlichem Territorium, als er einem verräterischen Hydriten und dessen beiden menschlichen Komplizen in die verlassene Stadt gefolgt war. (Quart’ol und die beiden Marsianer; [1]
Hier unten in Gilam’esh’gad wollte der missgestaltete Einzelgänger eine Auszeit nehmen, seine verletzte Seele heilen und Kraft sammeln für den Angriff auf jene, die er so abgrundtief hasste: Menschen und Ei’don-Anhänger. Dass Agat’ol ausgerechnet die alte Fabrik am Stadtrand als Domizil erwählt hatte, geschah ohne Absicht. Er wusste nicht viel über die Geschichte seiner Vorfahren.
Dafür war ihm seine eigene umso gegenwärtiger. Sie erzählte von einem Leben am Rand des Todes, war ein Wechselbad großer Gefühle, das ihn verfolgte bis in seine Träume.
Agat’ol war nicht immer schon ein Mar’os-Anhänger gewesen. Ein grausames Schicksal hatte ihn, der sich einst dem Studium der Landbewohner gewidmet hatte, dazu getrieben. Trotz seiner körperlichen Makel hatte Agat’ol in einer der kleineren Hydritenstädte ein durchaus normales Leben geführt, dessen Höhepunkte die Besuche an Land waren, bei denen er die Menschen beobachtete und bemüht war, ihre Sprachen zu erlernen.
Bis ihn eines Tages Barbaren eingefangen hatten! Sie sahen in ihm ein seltenes Tier, fütterten ihn mit Fleisch und hielten ihn zur
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