2273 - Der gefallene Schutzherr
winzige kleine und riesig große, alle für einen bestimmten Zweck konzipiert; Milliarden und Abermilliarden von ihnen, ein ganzes Heer, der Puls des Lebens; deine Diener, alles deine Diener. Und beinahe hättest du sie ...
Schon gut, nichts davon.
Und natürlich: Wenn du nach Norden siehst, genau hinter dem Palais des Lebendigen, erblickst du dich selbst. Das Ehrenmal des Lebendigen. Dein Denkmal, ganz genau 1011 Meter hoch in einer von Parks bedeckten Schneise zwischen den Bauten Kherzeschs, errichtet von den besten Künstlern, die sich im Arphonie-Haufen finden ließen.
Ja, es ist ein Wunderwerk. Deine Welt. Dieses Schloss sucht seinesgleichen im Universum - es wird es niemals finden. Nirgendwo kann es eine solche Pracht, solche Schönheit geben.
Die Sonne wird in wenigen Stunden untergehen. Dann kommt die Nacht, aber sie wird vielleicht noch schöner sein als der helle Tag. Am Himmel werden die phantastischen Lichteffektperlen, die deine Lux-Akrobaten an das Sternen- und mondlose Firmament zaubern.
Du nimmst einen tiefen Atemzug, als könntest du die Pracht in dich hineinsaugen. Aber kannst du es wirklich? Dein Gemüt bleibt dunkel, so, wie es immer war, weil dir nie die Anerkennung zugekommen ist, die dir zustand. Andere Wesen haben immer Scheu vor dir gehabt, weil du ihnen unheimlich warst. Der Graue! Aber jetzt ist da noch etwas anderes. Du wartest auf Nachricht. Du fragst dich, warum es so lange dauert. Und da ist wieder Enkrine, der dich plagt und quält.
Aber du brauchst ihn, das ist dein Fluch.
Es ist nicht recht! Wie viel Blut muss noch fließen, bis du endlich genug hast? „Ich will nichts mehr hören! Schweig endlich!"
Er wird nicht schweigen, das weißt du genau. Du hast seine Stimme, tief in dir drin, immer schon ertragen müssen. Und hat sie dich je von deinem Tun abgehalten?
Ohne Enkrine könntest du nicht leben. Du hast ihn versteckt, solange du mit ihm lebst.
Niemand, selbst die anderen Schutzherren nicht, ist je hinter dein Geheimnis gekommen. Wie auch? Wenn er bei dir ist, liegt er unsichtbar um dich wie ein feines, fast durchsichtiges Netz. Früher hast du es nur zugelassen, wenn du unbeobachtet warst, heute trägst du ihn fast immer. Wer genau hingesehen hätte, hätte ihn vielleicht doch entdeckt, als matt schimmernde zweite Haut über deinem Körper, auch wenn er sich deiner Körperfarbe perfekt anpassen kann.
Er ernährt sich von deinen durchaus üppigen Hautausscheidungen. Er nimmt die Giftstoffe auf, die dein Körper abgibt. Du darfst es nie vergessen. Natürlich nicht. Deshalb erträgst du seine moralisierenden Einflüsse ja, die du so hasst.
Früher hat es genügt, dich zweimal am Tag von ihm umhüllen zu lassen, manchmal vollständig, oftmals nur partiell. Manchmal hast du es sogar genossen, wenn es sich anfühlte, als striche ein Büschel weicher Federn über die umhüllten Körperstellen.
Immer öfter aber blieb Enkrine selbst in deinem Schlaf an deinem Körper, und am nächsten Morgen hast du dich über die Verfärbungen der Haut gewundert, wie von starken Saugnäpfen.
Du hast dich lange Zeit gefragt, was er in solchen Nächten mit dir anstellte, bis du erkannt hast, dass er auf eine dir immer noch rätselhafte Weise für deine extreme Langlebigkeit gesorgt hat - und dies heute noch tut.
Das ist das Problem. Das ist der Fluch. Ohne Enkrine kannst du nicht leben und mit ihm ... mehr schlecht als recht.
Die Sonne sinkt. Du wartest. Bald wird es dunkel, und das Himmelsspiel der Lux-Akrobaten beginnt. Wenn bis dahin immer noch keine Nachricht von Deitz Duarto eingetroffen ist, wirst du wirklich unruhig werden. Du hast Probleme genug. Du hast dich auf ihn verlassen, einen deiner Auswärtigen Prim-Direktoren, nachdem du mit den Zwölf kurzen Prozess gemacht hast. Du hast ihn zum Planeten Graugischt geschickt, zum echten Graugischt, wie du sehr wohl erkannt hast, um alles ausradieren zu lassen, was er dort vorfinden würde - vor allem aber deine alte, ewige Feindin.
Carya Andaxi! Die letzte Schutzherrin, der du wünschst, dass sie für alle Zeiten im Feuer der Hölle schmoren soll, wenn sie denn an eine Hölle glaubt! „Sie muss sterben!", schreist du hinaus, ins lustige Spiel der Zirkularen Kapelle, das deiner Stimmung so überhaupt nicht entspricht. Aber sie hört nicht auf. Sie spielt immer weiter und wird es immer weiter tun, bis ...
Nein, nicht daran denken! „Carya Andaxi ist tot!", sagst du. „Sie muss tot sein! Sie wird mich nicht länger in Angst versetzen!
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