2279 - Zeit der Schatten
übertreiben. Er ging in seiner Aufgabe auf und wusste, wann er sich selbst bremsen musste. Und außerdem wollte er mehr von Oaghon sehen. Ihm ging nicht aus dem Kopf, was Eidoa Bassnoir über das Clateaux der Zeiten gesagt hatte.
War es Zufall, dass sie sich genau an dem Tag bei ihm meldete, den er für seinen ersten Besuch dort vorgesehen hatte?
Er nahm1 ihr Angebot gern an, ihn zu begleiten und ihn in die Geheimnisse des Clateaux einzuweihen.
Nicht, dass er sich nicht selbst zurechtgefunden hätte. Er fand den Gedanken einfach angenehm, einen weiteren Tag mit ihr zu verbringen.
An Na-Da dachte er dabei nicht. Es gab keinen Grund dazu - glaubte er. Die Eifersuchtsidee war lächerlich gewesen.
Er hatte die Anlage „von oben" gesehen, aus mehreren hundert Metern Höhe. Schon da hatte sie imposant gewirkt, trotz seiner Müdigkeit, und Eidoas Worte hatten ihn wenigstens neugierig gemacht.
Inkarnationen? Die eine Geschichte zu erzählen hatten?
Doch das war nichts gegen das, was er nun zu sehen bekam.
Eigoa hatte ihren Schweber auf einer riesigen Landeplattform auf dem 250 Meter hohen Sockel geparkt, auf dem das gesamte Areal errichtet worden war. Laufbänder hatten sie und Drüben zur so genannten Clateauxstadt getragen, einer rund 1500 Meter durchmessenden Ansammlung von ungezählten Bibliotheken, Speisehäusern und KOM-Zentralen.
Sie diente als „Entree" zu dem eigentlichen Clateaux der Zeiten.
Drüben ließ sich eine Übersicht geben. Demnach bestand die Gesamtanlage, wie er sie aus der Luft gesehen hatte, aus fünf sechshundert Meter hohen, viereckigen Stufenpyramiden, vier davon an den Ecken und eine im genauen Zentrum, und zwischen ihnen großen Freiflächen, naturbelassene Felsformationen mit tiefen Klüften, Schluchten, Kalk- und Tropfsteinhöhlen und Bewuchs aus knorrigen Nadelbäumen. Das, wovon Eidoa gesprochen hatte, also die Wandelgänge, Terrassen und Hallen, befand sich in oder an den Pyramiden.
Die verschieden schnell laufenden Transportbänder trugen sie in die südwestlichste von ihnen. Es gab Treppen oder Schächte, in denen die Besucher in Nullschwerkraftfeldern sanft nach oben oder unten getragen wurden. Es gab Tausende davon, Angehörige unzähliger verschiedener Völker, von denen Drüben die wenigsten bekannt waren. Einige bewegten sich in Gruppen, andere waren allein gekommen. Die weitaus meisten von ihnen strömten nach oben und verteilten sich in den Hallen und auf den Terrassen.
Als Drüben die ersten Statuen sah, spürte er bereits das Kribbeln der Erregung in seinen Gliedern. Er war stehen geblieben. Eidoa lächelte, wie nur sie es konnte: fröhlich, hübsch und unbeschwert. Sie nahm Drüben bei der Hand, und das Kribbeln verstärkte sich. Allerdings lag das nun nicht mehr nur an den Plastiken. „Und sie sollen Geschichten erzählen können?", fragte er. „Das sind die ... Inkarnationen?"
„Du glaubst mir nicht?", lachte sie. „Wo ist dein Vertrauen? Jede von ihnen erzählt ihre eigene Geschichte - das, was ihr im Leben widerfuhr."
„Hattest du nicht behauptet, sie würden immer noch leben?"
„Sie leben auch noch, in gewisser Weise. Einige von ihnen sind tausend Jahre alt, andere zehntausend, einige vielleicht eine Million oder mehr. Sie alle entstammen verschiedenen Zeitaltern und sind, wenn du so willst, Chronisten dieser Zeit. Die Geschichten, die sie erzählen, sind Zeitzeugnisse aus erster Hand."
Er schüttelte gequält den Kopf. „Niemand lebt zehntausend Jahre", sagte er. „Geschweige denn, dass er dann noch spricht oder sich an alles erinnert. Du willst mich auf den Arm nehmen."
„Das würde mir nie einfallen", versicherte sie. „Es ist eben ... eine höhere Art von Leben, wenn man so will. Stell dir einfach vor, sie seien für die Ewigkeit konserviert worden. Ihr Körper ist nach außen hin versteinert, aber er ist nicht tot, sondern birgt noch immer die unsterbliche Seele - eben eine >höhergeordnete Form von Leben<."
„Das ist kaum vorstellbar. Und doch, wenn es stimmt ... was für ein immenser Born an Wissen", murmelte Drüben.
Wieder wurde er von Ehrfurcht ergriffen, wenn auch auf andere Weise als beim Anblick der Wunder Oaghonyrs und der gespürten Nähe ARCHETIMS. „Bei den Schohaaken hier auf Oaghonyr", erklärte Eidoa, „gilt eine Existenz als Inkarnation als eine der größten Ehren, die einem wie uns zuteil werden kann. Man lebt ewig und dient späteren Generationen als wertvoller Quell des Wissens; eben als Chronik seiner
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