2279 - Zeit der Schatten
herrschte nicht so viel Betrieb wie am Tag, aber das war Drüben nur recht. Was er hier tun wollte, würde er zum ersten Mal tun - und war dabei gern so allein wie möglich. Der Gedanke daran, dass ihn neugierige Besucher anstarrten, während er „ein anderer war", war ihm nicht gerade angenehm.
Er erinnerte sich an das, was Eidoa gesagt hatte, und spielte gar nicht erst mit dem Gedanken, in die Erinnerungen eines Andersartigen „einzutauchen". Außerdem war es für ihn ohnehin viel verlockender, etwas aus der Vergangenheit der Schohaaken zu erfahren. Als ProChronist wusste er zwar viel über sein Volk, auch über die Grenzen des Nekrion-Systems hinaus, aber es gab noch so viele Lücken, die zu stopfen er gar nicht erwarten konnte.
Außerdem gab es einen gewaltigen Unterschied zu „seelenlos" überlieferten Daten und Fakten und dem authentischen Bericht eines Zeitzeugen.
Drüben Eskuri brauchte nicht lange zu suchen, um einen Schohaaken zu finden, von dem - und aus dessen Zeit - er gern mehr erfahren würde. Er hatte ihn sich schon ausgesucht, als er mit Eidoa hier gewesen war.
Seine Befürchtung, die betreffende Statue könne bereits „besetzt" sein, bewahrheitete sich zum Glück nicht. Der Schohaake - die „Inkarnation" - unterschied sich von den meisten anderen schon allein durch seine Kleidung. Sie wirkte grober als die Moden, die er kannte; robuster und martialischer, fast wie eine Rüstung. Er musste sehr alt sein, vor langer, langer Zeit für die Ewigkeit konserviert.
Drüben holte tief Luft, als er vor der Statue stand. Er versuchte, sich vorzustellen, wie es sein würde, wenn er sie berührte, nur um zu der Einsicht zu kommen, dass er es nicht konnte. Er würde es erleben müssen - und darauf vertrauen, dass ihn das Erlebnis nicht den Verstand kosten würde. „Wie sollte es das?", fragte er sich leise. „Es muss sicher sein. Viele Tausende tun es täglich ..."
Dann streckte er die rechte Hand aus, zögerte noch einen Moment und berührte mit den Fingerspitzen die glatte, steinerne Oberfläche der „Inkarnation".
Im ersten Augenblick spürte er gar nichts. Schon wollte sich Enttäuschung in ihm breit machen, da fühlte er es. Es war, als würde er in einen Strudel gerissen, sein Geist von einem Sog erfasst. Die Umgebung, die anderen Statuen, die wenigen Besucher, verschwamm vor seinen Augen. Er schloss sie und fühlte, wie sich eine wohlige Wärme über seinen Körper ausbreitete. Er schwebte in einer gestaltlosen Leere und hörte ein langsam lauter werdendes Flüstern, einen Namen ... ... und war Troggen Assnarid.
Die Schlacht war in vollem Gange. Der Weltraum zwischen den Bahnen des zweiten und dritten Planeten stand in Flammen. Troggen Assnarid wurde trotz der Abdunklung der Schirme vom grellen Licht der Explosionen geblendet, in denen seine Schiffe vergingen. In unbändigem Zorn und purer Verzweiflung ballte er die Hände. Er brüllte Befehle und wusste nicht, ob sie überhaupt noch jemanden erreichten. Rings um die DRUGIS tobte ein energetisches Chaos, wie er es nie erlebt hatte.
Er hatte immer gehofft, es nie erleben zu müssen.
Das Cassim-System war nicht mehr zu halten. Die feindliche Übermacht war zu groß, und der eigene Entsatz blieb aus. Im letzten Hyperfunkspruch des Hauptquartiers auf Bodo hatte es geheißen, die Vierte Flotte sei unterwegs nach Cassim, aber das war eine halbe Stunde her, und mit jeder Minute, die verging, schwand die Hoffnung. Mit jeder Minute explodierten weitere Schiffe, deren Schutzschirme den Waffen der Feinde nicht standhielten. Mit jeder Minute starben Schohaaken. Hunderte. Tausende ... „Admiral!", hörte er eine Stimme im Dröhnen der überlasteten Triebwerke, dem Donner der eigenen Geschütze, dem Ächzen der Schiffszelle. „Admiral, es hat wirklich keinen Sinn mehr! Lass uns retten, was noch zu retten ist, und fliehen! Wir..."
„Es ist nichts mehr zu retten, Erster!", brüllte Assnarid in das Chaos. „Aber wir haben Befehl, die Stellung zu halten, bis die Vierte Flotte da ist und ...!"
„Sie wird nicht kommen!", schrie Agemo Darrschid zurück, Assnarids Zweiter. Er überging alle Formalien, indem er ihm ins Wort fiel, aber was bedeutete das noch? Was bedeuteten Ränge, die an sie vergeben worden waren? Assnarid würde sich nie daran gewöhnen. An nichts, was ihnen von diesem Krieg aufgezwungen worden war. Es machte sie nicht zu besseren Schohaaken und schon gar nicht zu Kämpfern. Schohaaken waren noch nie Krieger gewesen. Ihre Gegenwehr war
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