2279 - Zeit der Schatten
Atem erfüllt war.
Orgid Sasstre wirkte abgespannt. Er schien in den letzten Tagen um Jahre gealtert zu sein. Aber aus seinen Augen sprach die alte Tatkraft. Er hatte sich die Zeit genommen, seinen Sohn zu empfangen, und begrüßte Eidoa ebenso herzlich wie Drüben selbst.
Da war keine Spur von Arroganz und Überheblichkeit mehr an ihm zu entdecken. Er war nur müde, aber gönnte sich keine Ruhe. Drüben fragte sich, wann er zum letzten Mal geschlafen hatte. „Die Kette von Oaghonyr wird in zwei Tagen aufbrechen und das Oa-System verlassen", eröffnete er ihnen. „Sie wird knapp vier Wochen brauchen, um AR-CHETIMS letzte Ruhestätte zu erreichen und seinen psimateriellen Leib dem Stern zu übergeben, den er sich ausgesucht hat."
„Ausgesucht?", fragte Drüben erstaunt. „Wann?"
„Schon vor langer Zeit. Bevor er in den Kampf gegen die Negasphäre zog."
„Er hat also geahnt, dass er ... sterben könnte?", fragte Eidoa.
Sasstre musterte sie mit einem warmen Blick. „So muss es wohl gewesen sein, mein Kind", sagte er. „Keiner von uns kann sich anmaßen, seine Gedanken und Beweggründe nachvollziehen zu können.
Nenne es sein Testament. Er übergab es vor vielen Generationen an die Schohaaken, und es wurde bis heute in einem engen Kreis von Eingeweihten weiter und weiter überliefert."
„Sein ... psimaterieller Leib ...", sagte Drüben leise. „Was sollen wir uns darunter vorstellen? Und ist er doch noch im HORT?"
„Ja", sagte Sasstre. „ARCHETIMS Leiche besteht aus einem hochkomprimierten psionischen Feld, aus einer ... Form von Psi-Materie, soweit wir das verstehen."
Drüben und Eidoa schwiegen. Orgid Sasstre trank aus einem Becher und fuhr fort: „Spezielle Raumschiffe werden diesen psimateriellen Leichnam mit Hilfe von energetischen Feldern aus dem HORT in den Weltraum holen und mit der Kette zu der Sonne schaffen, die er für sich ausgewählt hat.
Dort ist schon alles vorbereitet für seinen ... Empfang."
„Was für eine Sonne ist das?", wollte Drüben wissen. „Keine, die du kennst, mein Sohn. Ein bisher eher unbedeutender, gelber Stern im Gretton-Mok-Spiralarm. Er liegt weit abseits der Routen der galaktischen Völker. Warum ARCHETIM sich gerade ihn erwählt hat, wissen wir nicht. Irgendeinen Grund muss er immerhin gehabt haben."
„Ja", meinte Drüben leise. „ARCHETIM hat nichts ohne Grund getan." Er hob den Kopf und sah seinem Vater in die Augen. „Und welche Rolle spielen wir dabei? Ich weiß nicht, was du für mich geplant hast, aber ich gehe nirgendwohin ohne Eidoa."
„Das sagtest du schon." Der Gouverneur lächelte.. „Und zwar klar und deutlich." Er trat zwei Schritte vor und legte je eine Hand auf Drubens und eine auf Eidoas Schulter. „Ihr werdet beide gehen. Ihr werdet die Todesprozession begleiten und mit der Kette jene Sonne erreichen, die sich ARCHETIM als sein Grab auserkoren hat."
„Und weiter?", fragte Drüben. „Das ist doch nicht alles?"
„Nein", sagte Sasstre mit einem Lächeln, in dem gleichzeitig Schmerz und Versprechen lagen. Der Schmerz über den Abschied von dem Sohn, den er eben erst wiedergefunden hatte, und ein Versprechen von etwas Großem, Besonderem, Gewaltigem. Aber darüber zu sprechen schien immer noch zu früh zu sein. „Man wird euch rechtzeitig informieren", sagte der Politiker. „Ich werde bereit sein, wenn euer Moment kommt. Ich verspreche es euch."
„Es hat mit den Vorbereitungen zu tun, die ihr schon lange trefft, nicht wahr?", fragte Drüben. „Ich meine, die Spezialisten, die ihr ausbilden lasst. Sie werden die Mission begleiten. Ihr ... unser Auftrag steht in Zusammenhang mit ARCHETIM? Mit seiner... Bestattung?"
„Ja, mein Sohn."
Drüben sah ein, dass er von ihm nichts mehr erfahren würde.
Als sein Vater ihn in die Arme nahm, erwiderte er den Druck. Fast eine Minute standen sie so da, und er wusste, dass es ein Abschied für immer war.
Orgid Sasstre drückte auch Eidoa an sich und gab der Gefährtin, die sein Sohn sich erkoren hatte, seinen Segen.
Die beiden jungen Schohaaken verließen das Regierungsgebäude. Drüben hatte seinen Vater gefunden und wieder verloren. Er hatte Na-Da verloren.
Aber Eidoa, das schwor er sich ganz fest, würde er nicht verlieren, niemals.
Sie befanden sich seit siebzehn Tagen an Bord der LISAM-GO, einer der zwölf schohaakischen Schiffe in der Kette. Die Schohaaken bildeten damit eine Ausnahme unter den galaktischen Völkern, denn jeder Planet hatte, wie es der Plan vorsah, nur ein einziges
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