23 Uhr, York Avenue
Telephongespräch.
Anderson: Hallo? Ingrid?
Ingrid: Ja. Duke? Bist du's?
Anderson: Kann ich reden?
Ingrid: Freilich.
Anderson: Ich hab' deine Karte gekriegt.
Ingrid: Es war ein kindischer Einfall. Ein Kleinmädcheneinfall. Du wirst mich auslachen.
Anderson: Was liegt an?
Ingrid: Arbeitest du morgen? Am Samstag?
Anderson: Ja.
Ingrid: Und um vier Uhr nachmittag mußt du hin?
Anderson: So ungefähr.
Ingrid: Ich würd' gern … was ich gern tun würd'… du wirst mich auslachen, Duke.
Anderson: Um Himmels willen, vielleicht sagst du mir endlich, was anliegt?
Ingrid: Ich hätt' gern, daß wir einen Ausflug machen.
Anderson: 'nen Ausflug?
Ingrid: Ja. Morgen. In den Central Park. Falls wir schönes Wetter haben. Laut Radio wird das Wetter gut. Ich bring' kaltes Brathuhn mit, Kartoffelsalat, Tomaten, Pfirsiche, Weintrauben - so Kram eben. Und du bringst eine Flasche Wein für mich mit und vielleicht eine Flasche Brandy für dich, wenn du Lust hast. Duke? Was hältst du davon?
[Pause von fünf Sekunden.]
Anderson: Das ist prächtig, 'ne gute Idee. Das tun wir. Ich bring das Zeug zum Saufen mit. Wann soll ich dich abholen - so um elf?
Ingrid: Ausgezeichnet. Ja, so um elf. Dann können wir im Park bleiben und dort zu Mittag essen, bis du gehen mußt. Weißt du einen guten Platz?
Anderson: Ja. Kennst du den Teich an der Zweiundsiebzigsten Straße? In den reicht 'ne kleine Landzunge 'rein. Dort sind nie sonderlich viele Leute, aber man kommt leicht hin. Eigentlich ist's ja 'ne Umkehre für Autos, aber das Gras senkt sich 'runter zum Teich. Hübsch ist's da.
Ingrid: Gut. Duke, wenn du mir eine Flasche Wein mitbringst, hätt" ich ihn gern gekühlt.
Anderson: In Ordnung.
Ingrid: Und bitte vergiß den Korkenzieher nicht.
Anderson: Und vergiß bitte nicht das Salz.
Ingrid [lachend]: Wir werden Spaß haben, Duke. Ich hab' seit vielen Jahren keinen Ausflug mehr gemacht.
Anderson: Ja. Wir sehen uns morgen um elf.
46
Die Börsenaufsichtsbehörde sah sich durch die in der vorhergehenden Aufnahme enthaltenen Hinweise veranlaßt, die Verwaltung der New Yorker Park-, Erholungs- und Grünanlagen um Mitarbeit zu ersuchen. Mit Hilfe dieser städtischen Dienststelle wurde auf der bewaldeten Anhöhe, die den Schauplatz des von John Anderson und Ingrid Macht geplanten Picknicks überblickte, ein »Borkgunst«-Telemike, Type IV (ein Mikrophon mit extrem hoher Reichweite), verborgen. Bei der folgenden Aufnahme handelt es sich um das Tonband SEC-17 Aug 68-Nr. 146-37 A. Es wurde stark bearbeitet, um unwesentliches Material und Hinweise, die gegenwärtig vor Gericht erörtert werden, zu entfernen.
Ausschnitt I. 17. August 11.37 Uhr.
Anderson: Das war 'ne riesige Idee. Herrlicher Tag. Klarer Fall von Wetterumschwung. Nicht zu heiß. Sieh dir mal diesen Himmel an! Sieht aus, als hätt' ihn wer gewaschen und zum Trocknen aufgehängt.
Ingrid: Ich kann mich an einen Tag wie diesen erinnern. Ich war noch ein kleines Mädchen. Acht Jahre alt, vielleicht neun. Ein Onkel nahm mich auf einen Ausflug mit. Mein Vater war tot. Meine Mutter mußte arbeiten. Und so machte dieser Onkel sich erbötig, mich an diesem Tag aufs Land mitzunehmen. Ein Samstag war's, genau wie heut'. Sonnenschein. Blauer Himmel. Kühle Brise. Süße Düfte. Er gab mir etwas Schnaps, und dann zog er mir die Hosen 'runter.
Anderson: Das war vielleicht 'n Onkel.
Ingrid: Er war in Ordnung. Ein Witwer. Ende vierzig. Vielleicht auch fünfzig. Er hatte einen wunderbaren Kaiser-Wilhelm-Schnurrbart. Der hat immer gekitzelt, kann ich mich erinnern.
Anderson: Hat's dir gefallen?
Ingrid: Es bedeutete mir nichts. Gar nichts.
Anderson: Hat er dir was gegeben, ein Geschenk oder so, damit du die Klappe hältst?
Ingrid: Geld. Er gab mir Geld.
Anderson: War das seine Idee oder deine?
Ingrid: Das war meine Idee. Meine Mutter und ich, wir waren immer hungrig.
Anderson: Kluges Kind.
Ingrid: Ja. Ich war ein kluges Kind.
Anderson: Wie lang ging das so dahin?
Ingrid: Ein paar Jahre. Ich hab' ihn kräftig ausgenommen.
Anderson: Klar. Hat deine Mutter davon gewußt?
Ingrid: Vielleicht. Vielleicht auch nicht. Ich glaub' aber schon.
Anderson: Was geschah?
Ingrid: Mit meinem Onkel?
Anderson: Ja.
Ingrid: Ein Pferd schlug nach ihm aus, und er starb.
Anderson: Das ist komisch.
Ingrid: Ja. Aber es machte keinen Unterschied. Ich war damals zehn, vielleicht auch elf. Und ich wußte schon, wie der Hase lief; ich wußte, wie man's macht. Bald gab's andere. Schatzi, der Wein! Er
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