232 - Höllisches Paradies
notwendige Maßnahmen oder Reparaturen einzuleiten. Flugzeuge fielen nur dann wie Steine vom Himmel, wenn Rumpf oder Tragflächen beschädigt waren.
Die Inselgruppe kam immer näher. Bergketten, die wie Schattenrisse vor einem glühenden Himmel aufragten. Im Vordergrund grüne Linien, begrenzt von weißem Strand. Ein Paradies im Zentrum der Hölle.
Stanislav fuhr die Landeklappen aus, als sie von einer zweiten Druckwelle getroffen wurden. Im selben Moment, als Stanislav die Palmen abknicken sah und aufgewirbelter Sand eine undurchsichtige Wand bildete, sackte das Flugzeug mindestens fünfhundert Fuß durch und schlug hart auf.
Wasser rauschte vor dem Fenster, das Heck der Be-300 hob sich, als wolle die Maschine eine Vorwärtsrolle machen. Die Schwimmer tanzten über die Wasseroberfläche, fielen zurück. Die Hülle knirschte. Der linke Flügel brach ab wie von einem Holzspielzeug. Wirbelte in einer Rauchwolke davon. Krachte gegen Titan und Aluminium, zerschlug eines der doppelt gelagerten Hartglasfenster.
Die zwei Motoren der linken Tragfläche beklagten sich, als wollten sie gegen ihr Schicksal ankämpfen. Stanislav schaltete die Beschleunigung auf Null. Viel zu schnell. Gequält rissen Halterungen. Turbinen brachen gegen Wasser und Druck. Spanten aus Thermoplast, hochelastisch und eigentlich unzerstörbar, rissen wie Zwirnsfäden. Über ihnen schlug schäumend grünes Wasser zusammen. Sie sanken.
Dr. Artjenko schlug kreischend mit den flachen Händen gegen das Cockpitdach. »Ich will hier raus!«, heulte er, wohl vergessend, dass er noch vor wenigen Stunden leidenschaftlich hatte sterben wollen.
Die Rotoren waren immer noch in Bewegung. Wie ein Weinkorken ploppte die Be-300 wieder an die Wasseroberfläche. Die Schwimmer, die stark gekrängt hatten, fanden erneut Halt und schoben das Flugzeug weiter vorwärts.
Dann ging alles innerhalb von Sekunden.
Die Maschine verlor an Stabilität. Drehte sich einmal um seine Achse. Kopfüber unter Wasser, dann wieder hochgehoben, setzten die Schwimmer auf. Dr. Artjenko würgte und erbrach sich auf die Armaturen.
Der Rumpf gab in der Mitte nach, weitete sich wie eine Seifenblase und zog sich blitzartig wieder zusammen. Hinter ihnen brach die Cockpitwand weg, faltete sich zusammen wie Stanniolpapier. Wie eine suchende Hundeschnauze bohrte sich die Be-300 in den Ufersand. Ein Geräusch wie von gigantischem Schmirgelpapier. Kreischend wie Höllengesang. Die Maschine donnerte gegen einen Felsen und lag dann endlich, steil aufgerichtet, still.
Sie waren gelandet – und sie lebten. Es war vorüber.
Dachten sie.
Doch dann kreischte hinter ihnen Metall. Haken schossen aus den Wänden. Bänder rissen. Etwas rutschte auf sie zu. Dr. Artjenko schien es zu ahnen. Sein Kopf fuhr zu Stanislav herum. Die schmalen Augen weiteten sich. Als wolle er etwas sagen, riss er den Mund auf. Dann wurde sein Körper nach vorne gedrückt.
Mit einem grauenerregenden Geräusch quetschte ein mannshoher, schmaler Behälter den Sitz von Dr. Artjenko ein – und den Doktor gleich mit.
Stanislav zog instinktiv den Kopf ein, als Blut spritzte. Er starrte entgeistert auf den Aluminiumtank. Die Buchstaben »ITH« waren darauf zu sehen. Ein Kampfstoff? Irgendetwas zischte. Panik rieselte über seine Wirbelsäule.
Raus hier! Nur raus hier!
Er drückte den Eject-Knopf, und wie durch ein Wunder schob sich die Kanzel hoch. Raus hier – weg von der Ladung, weg von Dr. Artjenko.
Im letzten Moment zögerte er. Eines musste er noch tun. Es war ihm in unzähligen Simulationen in Fleisch und Blut übergegangen, und so hinterfragte er sein Tun nicht, als er die kleine Klappe entriegelte und den Schalter für das automatische Notsignal umlegte. Der Sender wurde von einem Trilithiumkristall gespeist und würde selbst dann noch arbeiten, wenn der Rest der Maschine längst verrottet war.
Bevor er sprang, drehte er sich noch einmal nach Dr. Artjenko um. Dessen Augen waren aus den Höhlen gequollen wie bei einem erstickten Fisch. Sein trauriges Grinsen war das Letzte, was Stanislav Prodenko sah, bevor er aus drei Metern Höhe in den warmen Sand fiel.
***
13. Dezember 2524, Ashmore-Inseln
Matt behielt die Nerven.
Es war nicht das erste Mal, dass Aruula in Gefahr geraten war.
Er versuchte sich zu erinnern, woher er dieses Krächzen und das seltsam flappende Geräusch kannte – wie von riesigen Schwingen.
Paris!, schoss es ihm durch den Kopf. Ein Avtar! [3]
Eine der beiden Bevölkerungsgruppen
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