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233 - Enklave der Träumer

233 - Enklave der Träumer

Titel: 233 - Enklave der Träumer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michelle Stern
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Beunruhigt sah sie in sein blasses, feucht glänzendes Gesicht.
    Was auch immer im Süden auf sie wartete – Aruulas Sorgen wurden immer größer.
    ***
    In der Enklave der Träumer
    Im Moment gab es keine Chance zu entkommen. Der Griff des Wächters hinter ihm war unnachgiebig, und die Spitze eines Messers bohrte sich ahnungsvoll zwischen zwei seiner Rippen. Herak versuchte auf seinem unfreiwilligen Gang durch das Zeltdorf so viele Eindrücke wie möglich festzuhalten. Er brabbelte in einem fort vor sich hin, während Kiras neben ihm immer wieder das Erscheinen Straitars verkündete. Die Wachen schienen es nicht zu wagen, ihm die Aussprache des Namens zu verbieten, zudem in Kiras Schreie andere Verrückte einstimmten.
    Verrückte – das waren sie für Herak. Fassungslos sah er sich auf der Lichtung um, die von gut zweihundert Menschen belagert wurde. Die Zelte wirkten schlecht gepflegt, eines war zusammengefallen, doch niemand hatte sich die Mühe gemacht, es wieder aufzubauen. Die Anhänger Straitars saßen oder lagen auf dem Boden. Einige zuckten wie unruhige Dingoos im Schlaf. Anderen stand im Sitzen der Mund offen. Speichel troff ihnen über Lippen und Kinn. Nur wenige waren so aufnahmefähig wie die Wachen. Etwa zwanzig bewegten sich wie in Trance. Sie warfen Holz ins Feuer und führten einfache Aufgaben aus. Einer rührte mechanisch in einem großen Kessel voll Suppe über einem kleineren Feuer. Herak sah ihn an – doch der Mann blickte nicht zurück. Er starrte im Irrsinn durch ihn hindurch.
    Sie sind wahnsinnig. Der Dämon hat ihre Seelen zu sich in sein Reich geholt.
    Dem Krieger lief ein Schauer über den Rücken. Trotz der Hitze fror er. Es fiel ihm schwer, sein Gebrabbel aufrecht zu erhalten. Zum Glück achteten die Wachen ohnehin mehr auf Kiras, dessen laute Schreie immer mehr Zuspruch fanden.
    »Straitar!«, erklang es rau aus ungeübten Kehlen. Einige der Verrückten sprangen auf und begannen vor den Zelten zu tanzen. Sie wiegten sich im Takt einer unhörbaren Musik.
    »Die Vernichtung wird die Erlösung bringen!«, schrie einer der Männer von Sinnen.
    »Schönheit durch Zerstörung! Vollendung durch Auslöschung!« Es war die hohe Stimme eines Mädchens, die Herak erschreckte. Die schwarzbraunen Augen der Kleinen waren genauso leer wie die der anderen.
    Die Wachen zerrten die Gefangenen an den Zelten vorbei, zu der Ruine eines Hauses hin. Herak hatte noch nie ein solches Haus gesehen. Es musste einmal sehr schön gewesen sein, mehrere Meter hoch mit dünnen Säulen auf den Balkonen und vielen Verzierungen aus Stuckwerk. Jetzt hatte es nur noch eine Etage. Zum Teil konnte man noch erkennen, wo einstmals Farbe gestrahlt hatte. Weiß und Gelb waren es wohl gewesen. Jetzt war es grau.
    Das Haus lag über der Zeltlichtung auf einem Plateau. Sie stiegen mehrere Treppen aus Stein hinauf. Die Bäume wuchsen hier nicht ganz so dicht und man konnte von oben aus den Steg sehen, an dem Herak gelandet war. Von seinem Boot war nichts mehr zu sehen.
    Die Sonne senkte sich über den Zenit und Herak kam der beunruhigende Gedanke, dass er vielleicht nicht mehr lange zu leben hatte. Dieser Dämon war stärker als er.
    Man schleifte sie unsanft durch eine eingefallene Eingangshalle, hin zu einem großen Raum, der noch halbwegs intakt war. Zwei breite Fenster sorgten für Licht. Sie waren mit weißen Netzen behängt, um Insekten draußen zu halten. Mehrere Fackeln brannten in hölzernen Eimern, die mit Sand gefüllt waren.
    Ein großer Steinblock war hereingeschafft worden, auf dem mehrere Decken und Kissen in zerschlissenen Rottönen lagen. Darauf hockte im Schneidersitz eine Frau. Sie trug ein weißes langes Gewand. Ein Schleier verdeckte ihr Gesicht und fiel an ihren Schultern und Armen hinunter.
    Vielleicht hätte das Kleid schön ausgesehen, wenn sein Saum nicht so besudelt gewesen wäre. Auch auf der Brust verunstalteten hässliche rote Spitzer den weißen Stoff. Über dem Kleid trug sie einen weißen, geflochtenen Gürtel aus zusammengerollten Kordeln, an dem ein hässlicher Dolch steckte. Seine Klinge war ebenso blutverschmiert wie das Kleid. Da sie ihn offen trug, hatte das mehrschichtige Gewand an dieser Stelle einige ausgerissene Schnitte.
    »Herrin!« Der Mann, den Herak seines Gebarens wegen für den Ersten Wächter hielt, kniete sich vor den Steinblock. Es war der Mann, der Herak mit der Steinschleuder erwischt hatte. Sein feistes, breites Gesicht würde der Ador wohl niemals vergessen – falls er das

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