24 kurze Albträume (German Edition)
zu, und sie öffnet die Tür. Soll der Typ doch ruhig sehen, dass alles in bester Ordnung ist. Der Kerl kommt also herein, bemerkt mich und verzieht sein Gesicht zu einem dümmlichen Grinsen. Ich weiß, was er denkt. Ich kann es ihm förmlich ansehen. Dann wendet er sich wieder Raissa zu. Denn wo er schon mal da ist, kann er ja auch gleich kassieren. Marija drückt ihm unsicher die Scheine in die Hand, er kommandiert ein knappes »Ö ja, weitermachen«, und wendet sich zum Gehen.
Das ist der Moment, auf den ich so lange gewartet habe.
Noch ehe er weiß, was passiert, bin ich aufgesprungen, mein Springmesser blitzt auf, und mit der Spitze voran werfe ich mich gegen seinen Rücken. Durch die Wucht des Aufpralles verliert er den Halt und stürzt aus dem Wohnmobil. Wenn ich Glück habe, bricht er sich dabei den Knöchel oder das Kniegelenk. Meistens klappt das aber nicht, und ich muss mich beeilen, bevor mein Vorteil, der aus dem Überraschungsmoment besteht, verpufft. Also reiße ich seinen Kopf hoch und ziehe meine Klinge blitzschnell einmal von links nach rechts. Ein heißer Strahl Blut schießt aus seiner Kehle auf den Waldboden. Perfekt. Ein letztes Zucken, dann ist es vorbei. Ich drehe die Leiche herum und zerre sie in das Gebüsch. Dort lasse ich sie einfach liegen. Bei Ilona kassiere ich noch meinen eher symbolischen Lohn, schärfe ihr ein, dass sie sich um nichts weiter zu kümmern hat, wünsche ihr viel Glück und gehe davon. Ich werde meine Kundin nicht wiedersehen, denn fast alle kehren nach meiner Arbeit in ihre Heimat zurück.
Ein paar Tage später teilt mein Mann mir dann mit schöner Regelmäßigkeit mit, dass er wieder Überstunden machen muss, weil im Rotlichtmilieu ein wahrer Bandenkrieg tobt. »Aber weißt du, Tatjana«, sagt er dann sinnierend, »eigentlich habe ich gar keine große Lust, auf diese Sache viele Ressourcen zu verschwenden. Manchmal denke ich sogar, solange es nur diese Scheißkerle trifft, ist das vielleicht ganz gut?«
Und das ist für mich die schönste Bestätigung. Ich kann meine Phantasien ausleben und tue nebenbei sogar noch ein gutes Werk. Deshalb gehe ich zu Prostituierten.
Wolf Awert
Einbahnstraße
Theo war ein Städtetourist der besonderen Art. Er liebte die Enge dunkler Gassen mit ihren Katzenköpfen aus Blaubasalt, die selbst Hufeisen widerstanden, die Geheimnisse der Steinwesen auf den alten Torbögen, und selbst die Hauswände, denn die flüsterten ihm vertrauliche Geschichten zu. Und Theo wusste, dass sich diese Gassen oft nicht weiter als einen Steinwurf entfernt hinter den Einkaufsstraßen versteckten.
Burgweg, las Theo auf einem Straßenschild und staunte, weil hier, soweit er wusste, nie eine Burg gestanden hatte. Und etwas weiter Händlergasse, nicht mehr als eine schmale Passage, die kein Licht erhielt, weil die Dächer der Häuser sich beinahe berührten. Auch konnte er weder Fenster noch Türen entdecken. Wer mochte in diesem Halbdunkel Handel betrieben haben? Und wo waren die Eingänge zu den Häusern? Die Händlergasse war eine Einbahnstraße. Das schien vernünftig. Wäre nicht gleich daneben ein zweites Schild mit der Aufschrift. »Sackgasse. Keine Wendemöglichkeit« angeschraubt worden. Theo beschloss, sich diesen Unfug aus der Nähe anzuschauen.
Friedhofsstill war es. Noch nicht einmal der Verkehrslärm wagte sich bis hierhin vor. Die Gasse endete in einem enttäuschend normalen Hof, der vor einer Backsteinmauer endete. Hier gab es nichts zu entdecken, aber immerhin konnte er sich an ein paar Sonnenstrahlen erfreuen. Theo fröstelte und wusste nicht, warum. Er trat den Rückweg an, hatte sich aber noch nicht einmal halb umgedreht, als es ihm kälter als im Winter wurde.
»Haben Sie das Schild nicht gelesen? Sie können sich hier nicht einfach umdrehen. Keine
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