246 - Am Ende aller Zeit
Gordie sah ihn aus großen Puppenaugen verzweifelt an. Sie schien sprechen zu wollen, doch über ihre Lippen kam nur ein Wimmern.
Laurenzo griff mit der freien Hand in die Kiefer des Tieres und brach sie. Ein leises Knacken, dann ließ die Libellenechse endlich von Gordies Hals ab. Laurenzo schleuderte das Tier kraftvoll zu Boden und presste seine Hände auf die Blutung. Das Nagergebiss der schuppenhäutigen Libelle hatte sich in Gordies Hals gebohrt und dabei die Vene verletzt. Blut sickerte zwischen Laurenzos Fingern hervor.
»Meine Tasche! Ich brauche meine Tasche aus meinem Zimmer! Sie steht neben dem Bett!«
Einer der Soldaten rannte sofort los. Laurenzo redete beruhigend auf Gordie ein.
»Durchhalten, Kleines, du schaffst das schon.« Er konnte den Anblick ihres blutverschmierten, tränenüberströmten Gesichtes kaum ertragen. In ihrer Wange klaffte ein fast fünf Zentimeter großes Loch. Gordie wimmerte.
Wenigstens hat es nicht die Arterie erwischt. Der Arzt hätte gegen den Druck des Blutes nicht arbeiten können. Aber auch so war Gordie in Lebensgefahr. Sie durfte nicht zu viel Blut verlieren, und die Bedingungen, unter denen Laurenzo operieren musste, waren alles andere als steril. Die Wunde konnte sich leicht entzünden.
Inzwischen kamen immer mehr Leute in den Gang. Auch Hacker und die Rev’rends fanden sich ein.
»Was ist hier los?«, verlangte Rev’rend Torture zu wissen.
»Gordie!« Die schwarzhaarige Stardust warf sich neben die Freundin auf die Knie. »Gordie, was ist passiert?«
Gordie antwortete nicht. Ihre Augenlider zuckten. Sie verlor das Bewusstsein.
»Sie wurde angegriffen«, meinte Laurenzo knapp.
Der Soldat kam mit der Tasche in den Händen zurückgespurtet. Laurenzo nahm Stardusts Handflächen und drückte sie kurz entschlossen auf den Hals der blutenden Frau.
»Nicht loslassen, bis ich es sage!« Er riss seine Tasche auf und fand mit einem einzigen Griff eine Klemme.
Stardusts Gesicht war bleich, doch sie tat tapfer, was der Arzt ihr sagte. Laurenzo übernahm wieder. »Ich brauche Beta 5-31. Die Gefäßwand muss repariert werden. Er ist speziell für Operationen dieser Art programmiert.« Der Arzt stoppte die Blutung vorübergehend mit zwei Klemmen und gab Gordie eine Spritze. Für die Operation musste sie narkotisiert werden.
Inzwischen war auch Horstie von Kotter angekommen. Die Schreie Gordies hatte niemand überhört. »Ich hole ihn«, meinte der Oberst knapp.
»Bring Blutkonserven mit! Meine!«
Der Leibarzt hatte bereits vor einiger Zeit damit angefangen, sich regelmäßig Blut für den Notfall abzunehmen. Im Gegensatz zu Crow und von Kotter war sein Blut spendengeeignet.
Von Kotter machte auf dem Absatz kehrt und rannte zum abgesicherten Bereich, zu dem die Bürger Waashtons nach wie vor ohne ausdrückliche Genehmigung keinen Zugang hatten.
Laurenzo sah auf. »Bringt sie vorsichtig in die Halle. Wir brauchen einen großen Tisch und viel Licht.«
Der Heiler versuchte ruhig zu atmen. Durch General Crow und die Computeraufzeichnungen der Anlage wusste er eine Menge über die moderne Medizin. Dennoch hatte er noch nie eine solche Operation durchgeführt oder auch nur dabei assistiert. Er hoffte, dass es dem Warlynne gelingen würde, Gordies Leben zu retten.
Verwundert erkannte er, was ihm die lebenshungrige blonde Frau inzwischen bedeutete. Er hatte sich schon lange an niemanden mehr gebunden. Horstie von Kotter, General Crow und dessen Adjutant Hagenau waren seine Verbündeten. Sie hatten ein gemeinsames Ziel, das nun in unerreichbarer Ferne lag: die Eroberung Waashtons. Das Schicksal hatte sie aneinander geschmiedet. Aber waren sie auch Freunde?
Gerade in der Zeit vor der Katastrophe hatte er sich oft mit von Kotter gestritten. Ihre Auffassungen vom Leben waren einfach zu verschieden. Horstie war ein ernsthafter Mensch, der die Warlynnes vereidigte, als wären sie lebende Wesen. Für Humor hatte der Oberst selten etwas übrig. Gordie dagegen war ganz anders.
Laurenzo schluckte. Vorsichtig half er, die zerbrechlich wirkende Frau hochzuheben und sie in die Halle der Rev’rends zu tragen. Der Warlynne musste es schaffen.
Ich will nicht, dass du stirbst.
***
Rage und Torture hatten alle Bewohner Waashtons gebeten, die Halle zu verlassen. Nur Stardust war bei dem Warlynne, Laurenzo und der Schwerverletzten geblieben.
Während einige Waashtoner die Vertreibung aus der Halle für einen kurzen Ausflug an die Luft nutzten, zogen sich Rage und Torture in die
Weitere Kostenlose Bücher