246 - Am Ende aller Zeit
bohrten sich in die Schlacke, doch er fand keinen Halt. Unweigerlich wurde er hinab gezogen, als würden Dämonen seine Waden umklammern.
»Nein!«, schrie der Erzbischof panisch auf. »Ich darf nicht sterben! Ich kann nicht sterben! Ich bin GOTT!« Die Kräfte verließen ihn. Mit jedem Schlag, mit jedem Tritt wurde er schwächer. Sein Kopf sank unter die Wasseroberfläche. Er schluckte gierig, trank und versuchte zugleich, wieder nach oben zu kommen.
Wieder und wieder suchte er nach Halt. Wieder und wieder rutschte er ab. Seine Glieder wurden bleiern, zogen ihn hinab.
Ich muss sterben wie sie alle. Massakriert von den Dämonen dieser Welt. Er begriff, dass er nicht göttlich war, und die Erkenntnis versetzte ihm abermals einen Schlag. O GOTT, warum hast du das zugelassen? Warum nur hast du das zugelassen? Warum hilfst du mir nicht?
Der Mann spürte, dass sich seine Tränen mit dem Brackwasser vermischten. Er war kein Gott. Er war nicht einmal mehr Rev’rend Rage. Er war nur noch Marty Luder, der letztlich doch wankte in seinem unerschütterlichen Glauben an den HERRN.
Er gab jede Gegenwehr auf und starrte durch das Wasser nach oben. Matte Helligkeit erleuchtete die Welt über dem Wasserspiegel.
Doch plötzlich… geschah ein Wunder. So als wollte GOTT nicht zulassen, dass er den Glauben an ihn verlor. Denn warum sonst sollte er ihm wohl –
– einen Engel schicken!?
Mit weit aufgerissenen Augen starrte Marty Luder, der jetzt wieder Rev’rend Rage war, empor. Dort, über dem Wasser, stand ein Engel! Ein sphärisches Wesen mit langen blonden Haaren, das sich zu ihm hinunter beugte. Rage reckte die Hand nach ihm – und spürte, wie der Engel sie ergriff und daran zog! Sein Kopf durchbrach die Wasseroberfläche.
»Ich hab ihn!«, rief eine Stimme.
»Halt ihn fest! Ich helfe dir!«, rief eine zweite.
Unwillig blinzelte Rage. Neben dem Engel tauchte eine zweite Gestalt auf, die ihm vertraut vorkam. Sie packte den Arm, dessen Hand der Engel hielt, und zerrte an ihm.
»Rev’rend Rage?« Die Stimme von Laurenzo, dem Leibarzt und Botschafter von General Crow, brachte Rage in die Gegenwart zurück.
»Er lebt noch«, meinte der blonde Engel neben ihm erleichtert – und in diesem Moment erkannte Rage ihn. »Gordie… Laurenzo…« Er musste noch immer am Leben sein.
Sie schleppten ihn gemeinsam ans Ufer. »Rev’rend… Kommen Sie. Wir bringen Sie in die Anlage zurück.« Laurenzo stützte ihn.
Der Rev’rend schloss kurz die Augen. »Warum?«, murmelte er verzweifelt und hob den Blick zum Himmel. »Was willst du denn noch von mir, HERR? Wann darf ich endlich meinen Frieden finden?«
Gordie beugte sich zu ihm hinunter. »Bitte, Rev’rend. Kommen Sie mit. Ich und Laurenzo sin die beiden letzten Überlebenden. Die Tiere haben uns verschont. Vermutlich haben sie gewittert, dass die Chasta in uns waren. Aber wir sin ganz allein. Wir brauchen Sie. Geben Sie nich auf!«
Rage verstand nichts von dem, was Gordie sagte. Er hustete und musste sich übergeben. Wasser floss aus seinem Mund. Sie sind Adam und Eva, schoss die Erkenntnis durch seinen Kopf. Und GOTT will nicht, dass ich sterbe. Noch nicht. Weil ich eine Aufgabe habe.
Schwerfällig erhob er sich. »Gut, mein Kind. Ich komme. Ich komme mit euch, wo auch immer ihr hingeht.«
***
Drei Wochen später
Laurenzo blieb auf einer Anhöhe stehen. Fliegende Geschöpfe mit ledrigen Schwingen kreisten in einiger Entfernung über dem Abgrund. Bisher hatten sich die Tiere friedlich verhalten und die drei einsamen Wanderer nicht angegriffen.
Neben Laurenzo fiel der Felsen steil ab, hinunter in den Tiefseegraben, aus dem sie aufgestiegen waren. Er war erschöpft, Durst und Hunger zehrten an ihm. Der schwere Rucksack drückte unangenehm in seinen Rücken und die Riemen schnitten tief in sein Fleisch.
Stöhnend sah er hinter sich. Rev’rend Rage war gemeinsam mit den drei reparierten und reaktivierten Warlynnes zurückgefallen. Der bärtige Mann lief lieber für sich allein. Oft brabbelte er dabei vor sich hin und hörte auch nicht mit den Selbstgesprächen auf, wenn Gordie oder er in seine Nähe kamen. Er sprach mit Gott.
Laurenzo sah auf Gordie und ging langsam weiter. Die Sonne war zwischen den Wolken hervorgekommen. Sie erschien ihm riesig und näher als zu seiner Zeit. Vielleicht lag dieser Eindruck auch nur an seiner Übermüdung. Er brauchte eine Pause und wusste doch, dass er noch keine Ruhe bekommen würde. Gordie und er hatten festgelegt, wie weit sie
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