25 - Ardistan und Dschinnistan II
eigenartiges Erlebnis, daß ich nicht darauf verzichten möchte, es mit zu erzählen. Es war wegen des morgenfrühen Aufbruchs der Befehl gegeben worden, zeitig schlafen zu gehen und sich möglichst ruhig zu verhalten. Darum war es schon gleich nach dem Abendessen sehr still auf dem weiten Platz des Maha-Lama-Sees. Ich legte mich zeitig zur Ruhe. Halef auch. Wir schliefen schnell ein, denn die Ereignisse waren heut ja förmlich auf uns eingestürmt und hatten uns ermüdet. Grad als der Muezzin die Mitternachtsstunde abrief, wachte ich wieder auf. Mir war, als ob ich völlig ausgeschlafen habe. Ich schloß zwar die Augen, blieb aber wach. Da stand ich auf und ging hinaus. Das erste Viertel des Mondes hatte sich während der letzten Tage vergrößert. Es warf einen klaren und doch geheimnisvollen Schimmer über den Riesenengel, der sich da drüben vor mir erhob und die Hand wie zum Abschied zu bewegen schien. Um seine Gestalt meinem Gedächtnis noch einmal einzuprägen, tat ich einige Schritte zu meiner offenen Tür hinaus, grad als jemand an ihr vorübergehen wollte, ganz leise, huschend, wie ein Rätsel, welches sich nicht lösen lassen will. Hätte ich nicht schnell einen halben Schritt zurückgetan, so wäre die Gestalt mit mir zusammengestoßen. Sie ließ einen halblauten Ruf des Schreckens hören und huschte nach der nächsten Säule, um sich hinter ihr zu verbergen. Ich verspürte einen feinen, süßen Duft, ähnlich dem Hauch der Kätzchenblüten zur Osterzeit, denselben, den ich in der ‚Dschema der Toten‘ bemerkt hatte, als sie an mir vorüberkam. Schon hob ich den Fuß, um ihr nach der Säule zu folgen, ließ ihn aber wieder sinken, denn ich sagte mir, daß es ein weibliches Wesen sei, welches ich da vor mir hatte, und daß ich es nicht vornehm nennen dürfe, mich in ihre Geheimnisse einzuweihen. Darum wandte ich mich nach meinem Raum zurück, war aber noch nicht hinein, so erklang die Aufforderung:
„Halt! Bleib noch stehen!“
Ich drehte mich also wieder um. Da hörte ich: „Ich kann dich nicht erkennen; aber du scheinst der Fremde aus Dschermanistan zu sein?“
„Ja, der bin ich“, antwortete ich.
„Du hast mich jetzt gesehen und wolltest mich dennoch passieren lassen, ohne mich festzuhalten?“
„Ja.“
„Warum?“
„Ich bin dein Freund.“
„Mein Freund!“
Sie sagte das langsam und wie fragend. Und sie trat dabei wieder hinter der Säule hervor und kam ebenso langsam auf mich zu.
„Kennst du mich denn?“ fragte sie.
„Nein, sicher nicht; aber ich ahne.“
„Was ahnst du?“
„Daß ich an deinem leeren Grab stand.“
„Was noch?“
„Daß der Schech el Beled der Vater deines Sohnes ist.“
Nun stand sie vor mir, hob die Hände abwehrend empor und sagte:
„Halt ein! Ahne nicht weiter! Deine Ahnung sagt dir Wahrheiten, die noch nicht sprechen dürfen. Ich muß schweigen, und ich weiß, daß auch du schweigen kannst. Darum rief ich dich jetzt, obgleich mich niemand sehen soll.“
„Ich sah dich schon!“
„Wo?“
„In der ‚Dschema der Toten‘, als du den Mir unterwiesest.“
„Wem hast du davon erzählt?“
„Noch keinem.“
„Du tatest recht. Ich kenne dich. Marah Durimeh hat dich uns empfohlen. Du wirst sie wiedersehen, viel eher als du denkst. Und nun muß ich gehen, doch nicht, ohne dir zu danken.“
Sie ergriff meine Hand, hob sie an ihr Gesicht empor, legte ihre Wange hinein, hielt sie eine kurze Zeit da fest, so daß ich ihre Wärme deutlich spürte, und sprach:
„Ich fühle deinen Puls. So sollen wir die Herzensschläge aller Sterblichen und der ganzen Menschheit fühlen. Ich liebe dich, denn du bist ein Mensch, ein wirklicher Mensch. Und ich liebe dich, denn du hast ihn lieb, ihn, den ich meine. Leb wohl! Doch nicht für lange. Wir sehen uns wieder!“
Sie entließ meine Hand und entfernte sich. Ich schaute ihr nach, bis sie im Dunkel der Säulenhalle, wohin ihr der Strahl des Mondes nicht folgen konnte, verschwand. Dann kehrte ich in mein Zimmer zurück, legte mich nieder und schlief sofort ein. Es war, als ob ich nur aufgewacht sei, um diese vermeintlich Tote zu sehen und zu sprechen.
Kurz vor Tagesanbruch wurde ich von Halef geweckt. Wir fütterten und tränkten unsere Pferde und Hunde, frühstückten auch selbst und füllten dann unsere Satteltaschen mit allem, was wir mitzunehmen hatten. Inzwischen ertönte der Weckruf auch für die andern. Die Zeit des Abschieds von diesem geheimnisvollen, unvergeßlichen Ort war gekommen. Wir hatten
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