Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Benioff
Vom Netzwerk:
Füllstoffes hingen daran wie Haare am Skalp einer alten Frau. Brzowski riss in gespieltem Entsetzen die Augen auf, während die anderen Agents »Oh« und »Na so was« machten.
    »Mr. Brogan, ich glaube, jetzt haben wir Sie am Arsch.«
    Naturelle liegt nackt auf der Seite, an ihn gekuschelt, und fährt ihm mit den Fingern durch die Haare. Er hat ihr den Rücken zugekehrt und die Augen geöffnet. Der Wind weht durch die Fenster herein, und sie friert, drängt sich enger an Monty. Seine Haut ist immer warm; selbst im tiefsten Winter lässt er die Fenster offen. Die Geräusche von der Straße lullen ihn ein; er ist in einer Parterrewohnung groß geworden.
    Naturelle fragt sich, ob sie ohne ihn glücklicher sein wird, und hasst sich für diesen Gedanken. Sie erinnert sich an die vielen Morgende, an denen sie frierend aufgewacht ist, ihre nackten Körper ineinander verschlungen. Dann griff sie immer in die Obstschale auf dem Nachttisch, eine Familientradition, und fütterte ihn mit Pflaumen oder Feigen oder Nektarinen. Das waren die Augenblicke, in denen sie glaubte, dass er sie vielleicht wirklich liebte; wenn er ihr den Saft von den Fingern leckte.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragt sie. Er sagt nichts, und sie fragt noch einmal: »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Mir geht's blendend«, sagt er. »Spitzenmäßig. Beste Nacht meines Lebens.«
    »Ich wollt bloß wissen...«
    »Weiß ich«, sagt er. »Weiß ich doch.« Er entzieht sich ihr, setzt sich auf, sieht aus dem Fenster.
    »Red mit mir, ja? Red mit mir. Monty! Mach nicht so zu. Das ist unsere letzte Nacht, dann hat es sich mit...«
    »Das ist nicht unsere letzte Nacht. Es ist meine letzte Nacht. Du hast morgen Nacht und übermorgen Nacht und immer so weiter, du kannst ausgehen und dir von irgendeinem Scheiß- Rechtsanwalt Drinks spendieren lassen, du kannst nackt im Hudson baden, du kannst alles Mögliche machen.«
    »Trotzdem ist es immer noch unsere letzte Nacht«, sagt sie wütend, die Worte an seinen bleichen, nackten Rücken gerichtet. »Deine und meine, das bedeutet unsere, begreifst du das denn nicht?«
    »Nein«, sagt er und schüttelt langsam den Kopf. »Baby, tu mir einen Gefallen - halt einfach den Mund. Ja?« Er greift nach der Packung Zigaretten und stößt sie am Nachttisch auf.
    An ihre Zukunft zu denken, lässt ihn sich einsam Vorkommen - der Gedanke, dass sie mit ihren Freundinnen quatschen und herumalbem, dass sie Einkaufsbummel machen und ins Restaurant gehen wird. Er zieht eine Zigarette aus der Packung, zündet sie aber nicht an.
    Hatte es nicht einen Moment gegeben, in dem er Naturelle in Verdacht gehabt hatte, einen kurzen wahnsinnigen Moment, in dem er dachte, sie könnte den Anruf gemacht und ihnen verraten haben, wo das Zeug versteckt war? Er hatte diesen Gedanken sofort aus seinem Kopf verbannt - warum sollte sie? Was hätte sie davon gehabt? —, aber wenn so ein Gedanke erst mal da ist, wie wird man ihn dann je wieder los? Sobald der Zweifel erst einmal zu nagen beginnt, wie kann man ihr da je wieder vertrauen? Und wenn man der Frau nicht trauen kann, die mit einem schläft, der Frau, die neben einem liegt, wenn man schutzloser nicht sein könnte, wem kann man denn dann trauen?
    In der Feme heulen Sirenen, und Montgomery möchte am liebsten aufspringen, aus dem Apartment stürzen, die Treppen hinunter, auf die Straße, den roten Wagen abpassen und mit einem Nicken zu seinen tapferen Kameraden an Bord springen. Er hätte einen tollen Feuerwehrmann abgegeben. Wenn er doch nur jetzt auf das Feuer zurasen könnte.

5
    Die Nutten im Salon erzählen sich mit Begeisterung Geschichten von Uncle Blue; sie versammeln sich vor dem Kamin, rauchen Selbstgedrehte, trinken Tee aus angeschlagenen Bechern und tauschen Gerüchte aus. Jeden Donnerstag kommt er, im Morgengrauen, hängt seinen schwarzen Mantel an einen Haken bei der Tür, nickt Natasha zu und folgt ihr die Treppe hinauf. Sobald die beiden sich in das prächtigste Zimmer des rötlichbraunen Sandsteinhauses zurückgezogen haben und in absoluter Stille ihr Werk verrichten, fangen die anderen Frauen mit dem Rätselraten an und übertrumpfen einander mit wilden Geschichten. Nicht eine kennt seinen richtigen Namen, obwohl sie wissen, dass »Uncle Blue« eine Verballhornung seines Nachnamens darstellt, den westliche Zungen angeblich nicht aussprechen können. Nicht eine weiß, wo er herkommt, aber gemutmaßt wird manches. Er könnte in einer kleinen Stadt in Armenien zur Welt gekommen sein oder

Weitere Kostenlose Bücher