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25 Stunden

25 Stunden

Titel: 25 Stunden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Benioff
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seiner Geliebten besaß die Unverfrorenheit, ein paar Tage vor seinem Tod bei uns aufzukreuzen. Meine Mutter zeigte sich sehr bestürzt darüber, wie hässlich sie war. Eine richtige Hexe war sie. Aber alles trank sehr höflich seinen Kaffee und sah Dad beim Sabbern zu. Und später hat meine Mutter dann gesagt: »Kann man dem Mädchen einen Vorwurf machen?«, und ich dachte, sie meinte für ihre Hässlichkeit. Na, und ob ich das konnte. Für mich war die hässliche Frau schuld daran, dass sie hässlich war, der sterbende Vater schuld daran, dass er starb, und die liebevolle Mutter schuld daran, dass sie mich bemutterte. Ein jeder ist gleichermaßen veranwörtlich für den Dreck, den er in die Welt kübelt.«
    Jakob hält sich den Hörer ans Ohr und sagt nichts.
    »Verstehst du, mein Junge? Ich kann dir nicht helfen. Und du kannst mir nicht helfen. Niemand kann irgendjemandem helfen.«
    »Das glaube ich nicht.«
    »Das Problem an dieser Welt ist«, sagt LoBianco, »dass sie nichts mit dem zu tun hat, was die Leute glauben.«
    Jakob wird das Gesicht heiß; er spürt den Zorn durch seinen Körper rasen und freut sich darüber - über diesen reinen, sauberen Zorn, der alle Kompliziertheiten wegbrennt, die Scham und den Selbsthass und die Angst.
    »Und das Problem an dieser Philosophie ist«, sagt Jakob leise, spricht dabei aber jedes Wort deutlich aus, »dass man mit ihr irgendwann allein vor dem Spätfilm hockt, schlechten Wodka trinkt und sich einen Scheiß für andere Menschen interessiert.«
    »Ja. Ja, da ist wohl auch was dran.«
    »Gute Nacht, Anthony.« Jakob hängt den Hörer ein und geht. Das Mädchen mit den Zöpfen pfeift ihm hinterher.

20
    »Na?«, sagt Kostya grinsend. »Hat sie dir gefallen?«
    »Sie ist sehr schön«, sagt Monty.
    »Hat sie drei Zähne? Häh? Nein, ich glaube, sie hat viele Zähne. Ich glaube, sie hat dir gefallen.«
    »Hab ich doch gesagt, oder? Sie ist sehr schön.«
    Kostya nickt. »Sehr schön. Komm, Uncle will dich sehen.«
    Monty folgt dem Ukrainer den langen, schwach beleuchteten Korridor hinunter. Er hat gerade das Gefühl, nicht richtig da zu sein und alles nur über einen Bildschirm zu erleben, Statik inklusive. Erschöpft sieht er dabei zu, wie ein blasser Schauspieler in der Rolle von Montgomery Brogan vor sich hin stapft. Und obwohl er weiß, dass er Angst haben sollte, kann Monty, der Zuschauer, kein Angstgefühl für Monty, den Schauspieler, aufbringen.
    Er hat seit dem Prozess nichts mehr mit Uncle Blue zu tun gehabt; seine einzigen Informationsquellen sind Kostya gewesen, der alles schön redet, und der Rechtsanwalt Gedny. Aber was in Uncle Blues Kopf vorgeht, weiß eh keiner.
    Kostya klopft an eine stahl verstärkte Tür und blinzelt Monty zu. Ein Mann mit beginnender Glatze, der eine Zigarette raucht, macht die Tür auf und schließt sie hinter Monty wieder. Er nickt den beiden zu, und sie händigen ihm ihre Pistolen aus. Er prüft, ob sie gesichert sind, schiebt sie sich in den Gürtel, und dann tastet er die beiden sorgfältig ab, die Zigarette zwischen die Zähne geklemmt. Monty hat den Eindruck, dass er nicht nach Waffen sucht. Als er fertig ist, klopft er an die Tür, und sie öffnet sich. Kostya und Monty treten hindurch. Der künftige Glatzkopf folgt ihnen, übergibt ihre Waffen an einen der Zakharov-Zwillinge und geht wieder hinaus, macht hinter sich zu.
    Sie stellen eine Wache auf, denkt Monty. Er weiß, dass etwas nicht stimmt, aber er ist zu fertig, um aus dem Durcheinander schlau zu werden. Nur das kräftige Pulsen des Trommelschlags ist hier unten noch zu hören: gleichmäßiges Geschützfeuer in der Ferne.
    Monty ist hier schon gewesen, im Büro des Geschäftsführers. Er starrt die Fotografien mit den Berühmtheiten an der Wand an und wartet. Uncle Blue sitzt hinter dem Schreibtisch und liest Zeitung, fährt sich mit der einen Hand dabei durch den schwarzen Bart. Senka Valghobek sitzt vom auf dem Schreibtisch und raucht, sein Bauch wölbt sich schwer unter dem in Auflösung begriffenen Pullover mit dem Rautenmuster — einem Pullover, den ihm seine verstorbene Frau vor zwanzig Jahren gestrickt hat, wie er Monty einmal erzählte. Valghobek nickt den Neuankömmlingen zu und lächelt, lässt seinen abgebrochenen Vorderzahn blitzen, die Augen tief unter einem dicken Pinselstrich von Brauen verborgen. Er zeigt auf die schwarzen Kunststoffstühle, und Monty und Kostya setzen sich. Die rothaarigen Zakharov- Zwillinge stehen hinter ihnen; Monty hat sie nie

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