256 - Der König von Schottland
faltigen Hals. Von seinem Bart und den buschigen Augenbrauen hingen glitzernde Schneeflocken und auf seiner Stirn türmten sich Falten. Auch wenn er versuchte, es vor ihr zu verbergen, sah Nimuee ihm an, dass er genauso besorgt war wie sie. »Vielleicht solltest du dich doch den Fremden anvertrauen. Sie scheinen Stuart zu mögen. Ist Rulfan nicht sogar einer von diesen Bunkerleuten? Er und dieser Maddrax machen mir schon den Eindruck, als könnten sie helfen…« Fragend sah er Nimuee an.
»Womit denn?«, erwiderte die Barbarin bitter. Entmutigt blickte sie in die Ferne. »Nein, Cris. Wir werden weiter schweigen. Wissen es die Fremden, werden auch bald die Clans erfahren, wie es um Jed Stuart steht. Das darf niemals passieren. Schlimm genug, dass er damals in einem seiner Anfälle die vier Dörfler aus nichtigem Anlass erschießen ließ.«
»Gut«, brummte Cris Crump. »Dann werde ich jetzt nach unten gehen und den Trank vorbereiten. Kommst du mit?«
»Ich bleibe noch ein wenig.«
Crump schnaubte verärgert. »Der Kerl wird uns eines Tages noch alle umbringen.« Dann wandte er sich ab und stakste mit vorsichtigen Schritten über den schneebedeckten Turmboden. »Komm bald aus der Kälte!«, hörte Nimuee ihn noch rufen, bevor er im Treppenabgang verschwand.
»Die Kälte hier draußen ist nichts gegen die in meinem Inneren«, flüsterte die zierliche Frau, als der Heiler außer Hörweite war. Ihr suchender Blick glitt wieder hinüber zum Waldrand…
Es war ein glücklicher Moment gewesen, als Jed eines Tages plötzlich wieder vor ihrer Hütte hier in Schottland aufgetaucht war. Monate der Trauer und der Wut lagen damals hinter ihr, nachdem der Mann ihres Herzens sie verlassen hatte, um sich wieder den Technos anzuschließen. Um sein Gedächtnis zurückzuerhalten. Doch als sie das geliebte Gesicht sah, war all das schnell wieder vergessen.
Sie waren beide in das Kastell gezogen, das sie von ihrem Clan als Hochzeitsgeschenk erhalten hatten. Denn sie war ohne zu zögern seine Frau geworden, hatte ihn in seinen Plänen, die Stämme zu einen, unterstützt, und dafür ihre guten Kontakte zu den Clans eingesetzt. Sie war glücklich gewesen, dass er wieder da war, dass er Arfaars Andenken mit Leben erfüllen wollte. Etwas, das weit über das, was sie tat, hinausging.
Wie oft hatte sie seit damals hier oben gestanden und mit klopfendem Herzen nach ihrem Geliebten Ausschau gehalten. Hatte ihr Glück nicht fassen können, dass sie wieder beisammen waren. Hatte geglaubt, ihre Liebe heile alle seine Wunden, die er ihr erst mit der Zeit offenbart hatte.
Heute war nichts mehr übrig davon. Die Flammen der gegenseitigen Zuneigung waren zu Asche zerfallen und ihre Begegnungen erfüllten sie jetzt mit Kummer und Schmerz. Und schon waren sie wieder da, die furchtbaren Bilder. O nein, nicht nur Jed Stuart hatte mit den Schrecknissen der Vergangenheit zu kämpfen…
Stuart Castle, April 2522
Jed Stuart fuhr brüllend aus dem Schlaf hoch und weckte Nimuee, die neben ihm lag. Ihre Hand tastete durch die Finsternis, berührte kurz die schweißnasse nackte Brust und zog sich sofort wieder zurück. Es war zwecklos, Jed trösten zu wollen, wenn ihn seine persönlichen Dämonen im Schlaf besucht hatten. Seine Dämon in vielmehr, denn Nimuee wusste, wer sich da in seine Träume schlich. Er hatte es ihr erzählt, vor Wochen erst, obwohl sie schon seit vielen Monden ein Paar waren, und seither schien er Majelas schrecklichen Geist tatsächlich besiegt zu haben. Eine schöne Illusion, denn nun war sie wieder zurückgekehrt.
Und wenn sich Jed mit ihr auseinandersetzte, wollte er das ganz alleine tun, dann löste schon die kleinste Berührung kaum zu kontrollierende Wutanfälle in ihm aus. Deswegen unternahm die junge Frau nichts, als er sich stöhnend aus dem Bett quälte und nur mit einer Hose bekleidet in den Tiefen des Kastells verschwand.
Nicht auch noch Majela. Du hast so schon Probleme genug, mein geliebter Emryys…
Nach einigen Minuten stand Nimuee auf und folgte ihm leise. Sie wusste, wo sie ihn fand. Und tatsächlich: Jed stand auf dem Wehrgang zwischen zwei Zinnen, die Arme auf die Mauern gestützt, und starrte hinaus in die Sternenklare Nacht, auf die Schatten, die über die karge Heidelandschaft huschten. Irgendwo schrie eine Aul ihr Totenlied. Es war ihr, als lausche er besonders fasziniert darauf.
Nimuee beobachtete sein Verhalten mit großer Sorge, denn nach dem Desaster von Stirling war ihr Geliebter ein völlig
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