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257 - Die Spur der Schatten

257 - Die Spur der Schatten

Titel: 257 - Die Spur der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Zybell
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Abenteurerleben aufzugeben, für immer. Warum also sollte Maddrax nicht derselbe Entschluss gelingen?
    Nach und nach beschäftigten sich seine Gedanken mit anderen Dingen, mit schönen Bildern - mit dem Bild einer Frau. Was lag näher für einen Mann, der ein neues Leben anfangen wollte? Das ruhigere Leben eines Burgherrn?
    Rulfan dachte nicht an irgendeine Frau, er dachte an die schöne Myrial. Wie ein Vogelschwarm flatterten seine Gedanken und Gefühle auf und kreisten um ihre Gestalt und ihr liebes Gesicht. Und um das, was sie ihm zum Abschied gesagt hatte: Pass gut auf dich auf , hatte sie gesagt und dabei seine Hand berührt. Und komm bald zurück nach Canduly Castle. Eine Zeitlang gab er sich diesen Gedanken und Gefühlen hin, während die Widder ihn durch den Schnee zogen und Schneeflocken in seinem weißen Haar landeten. Chira hatte sich hinter ihm unter einer alten Lederdecke verkrochen. Rulfans Gestalt straffte sich, als er sich seiner Gedanken und Tagträume bewusst wurde. Er stieß einen Fluch aus und jagte die inneren Bilder und Sehnsüchte davon. Wie lächerlich, an diese junge Frau zu denken! Viel zu jung war sie für ihn! Dutzende Verehrer machten ihr den Hof, Männer, die jünger waren als er. Weg mit den verträumten Regungen des dummen Herzens!
    Wie auf dem Hinweg, übernachtete er in den Dörfern auf den Hügeln. Die Bewohner nahmen ihn gastfreundlich und mit großer Hochachtung auf. Neugierig erkundigten sie sich nach den Bewohnern des Fischerdorfes und nach dem Schicksal seiner beiden Gefährten. Bereitwillig beantwortete Rulfan ihre Fragen. Das war nun einmal die Art, wie Nachrichten sich in diesen abgelegenen Gegenden verbreiteten.
    Im zweiten Dorf, in dem er übernachtete, bat ihn ein junger Mann aus der Familie seiner Gastgeber, ihn mit nach Canduly Castle zu nehmen. Er hieß Orthur und galt als tüchtiger Jäger in seinem Dorf und seiner Sippe. Persönliche Fragen quälten ihn, und er wollte sie der Seherin Gyrolla vortragen. Niemand wusste, welcher Art diese Fragen waren. Rulfan fragte nicht und nahm ihn mit.
    Vier Tage brauchten er und sein neuer Begleiter für den Rückweg zum Königsschloss. Dort übernachteten sie, und Rulfan erstattete Jed Stuart und Nimuee Bericht.
    Am frühen Abend des fünften Tages erreichten sie Rulfans Burg. Schon von weitem sah der Albino eine Gestalt auf dem Wehrgang über dem Tor stehen. Eine zierliche Frau, deren schwarzes Haar im kalten Abendwind flatterte.
    Myrial!
    Rulfans Herz schlug höher.
    Sie rief hinter sich in den Burghof hinein. Danach winkte sie. Nach und nach erschienen andere Gestalten und Gesichter auf der Burgmauer, um ihn zu begrüßen. Als er die Brücke erreichte, öffneten Pellam und seine Söhne das Tor. Auch seine Frau Ayrin und ihre Töchter entdeckte Rulfan unter den Männern und Frauen. In der hinteren Reihe stand Myrial auf den Zehenspitzen und hielt nach ihm Ausschau. Ihre Augen leuchteten und sie lächelte scheu.
    Jetzt erst begriff Rulfan, warum sie allein auf der Mauer gestanden hatte: Sie hatte auf ihn gewartet.
    ***
    Jennifer Jensens Tagebuch
    Zwei Wochen schon habe ich mein Tagebuch nicht mehr angerührt. Eigenartig, wie sehr einem ein lebloser Gegenstand wie ein Buch ans Herz wachsen kann, wenn man ihm seine persönlichsten Gedanken anvertraut.
    Seit Tagen laufen wir durch Laubwald, seit Tagen scheint die Sonne. Bunte Blätter schweben aus den Baumkronen, die Nächte werden immer kälter. Pieroo hat einen wilden Wakudastier erlegt, um Pelzmäntel aus seinem Fell zu machen. »Ihr sollt nicht frieren, wenn der Winter kommt«, sagte er. Seine Fürsorge rührt mir das Herz.
    Ich hoffe sehnsüchtig, wir werden die schöne Insel noch vor dem ersten Schneefall erreichen. Nicht nur wegen des Winters hoffe ich es - ich will England endlich hinter mir wissen. Die Erinnerung an die grausamen Lords, an die sterbenden Londoner, an die schutzlose Bunkerstadt - sie quält und bedrückt mich, wie nur düstere Vorahnungen einen quälen und bedrücken können. Oder ist es gar nicht die Erinnerung, die mich quält, ist es tatsächlich eine Vorahnung?
    Die Begegnung mit diesem widerlichen Kerl aus Leeds vor zwei Wochen hat dieses Gefühl der Bedrohung noch verstärkt - ich hoffe sehr, nie wieder einem Mann wie diesem kahlköpfigen Riesen begegnen zu müssen. Verfolgt fühle ich mich, seit ich Fletscher getroffen habe. Fast bereue ich, ihn über die Verhältnisse in London aufgeklärt zuhaben. Die Vorstellung, er könnte den grausamen Lords in

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