2588 - Aufmarsch der Titanen
aller Kraft, die sein Bewusstsein aufbrachte, versuchte er sich gegen das Sterben zu wehren. Sein Bewusstsein zerflirrte in winzige Fetzen, setzte sich wieder zusammen, zerriss erneut. Dazwischen tauchten Erinnerungen auf, die er für alle Zeiten verschüttet geglaubt hatte. Sein Untergang in der weiten Hyperdepression, als durch sein
Versagen alle Bastionen im Kugelhaufen Vintabor verloren gegangen waren, vernichtet durch Rebellen aus Anthuresta. Bis ins kleinste Detail erlebte er es mit, jede Stunde, jede Minute, jede seiner Fehlentscheidungen, die sich zu seiner größten persönlichen Katastrophe aufgeschaukelt hatten.
VATROX-DAAG hatte ihn damals zurück ins Leben gelassen, warum auch immer.
Jetzt durchstreiften die Erinnerungen seinen Geist, flossen hierhin und dahin, als suchten sie einen neuen Ort zum Verweilen.
Ellonit wollte sie nicht behalten. Er scheuchte sie davon, aber sie kehrten mit notorischer Beharrlichkeit zu ihm zurück. Ein stechender Schmerz folgte.
War es eine Transition? Oder nur der Gedanken saugende Einfluss des Netzwebers? Der Frequenzfolger empfand es, als seien Stunden vergangen.
Die nächste Erinnerung folgte, von unsichtbaren Schaufeln aus alten Gräbern hervorgeholt, Vermodertes als leckere Nahrung für den Netzweber.
Nimm es mit, lass nichts davon zurück!, dachte Ellonit. Du tust mir damit einen Gefallen.
Bereitwillig öffnete er seinen Geist, nahm es in Kauf, dass er all das im Zeitraffer nochmals erlebte. Doch die Zeit verging schleppend langsam. Die Erinnerungen dehnten sich endlos. Sein erstes Kommando auf einem Schlachtlicht der DF-Klasse hatte gerade drei Tage gedauert. Schon beim ersten Kontakt mit der Besatzung hatte er die Feindseligkeit gespürt, die ihm entgegenschlug. Er hatte nach dem Grund gesucht und ihn gefunden. Der Stellvertretende Kommandant, ebenfalls ein Vatrox, war seinetwegen degradiert worden. Zuvor hatte er dieses Schiff befehligt.
Gegen den alten, erfahrenen Mann mit dem langen Pigasoshaar hatte er mit seinem bisschen erstes Leben keine Chance gehabt. Die Besatzung hatte ihn innerhalb dieser kurzen Zeit bis in eine der Schleusen gemobbt und anschließend auf einem Asteroiden ausgesetzt, mit einem Raumanzug und einer Proviantkiste. Ein halbes Jahr hatten Energie und Nahrung gereicht, bei entsprechend geringer Aufnahme. Dann erst war es irgendwo aufgefallen, dass mit dem Schiff etwas nicht stimmte. Die Speicher waren durchsucht worden, man hatte ein Schiff zu dem Asteroiden geschickt.
Damals wäre Ellonit am liebsten gestorben, statt sich retten zu lassen.
Der freundlichen Aufnahme in dem Schiff verdankte er es, dass er wieder auf bessere Gedanken gekommen war.
Hinweg damit!, dachte er. Es ist für dich, Netzweber. Hast du keinen Namen?
Weitere Erinnerungen drängten ans Licht, allesamt negative Ereignisse aus seinem Leben. Er war fassungslos angesichts ihrer großen Zahl. Wenn er sie verlor, wenn der Netzweber sie ihm stahl, blieben ihm die guten Erinnerungen, die ihm das Sterben leichter machten.
Ellonit wollte nicht sterben. Er wollte auch nicht, dass dieses Wesen so viel von ihm erfuhr. Aber da war dieser Sog, und er war unerbittlich. Noch immer zerpflückte er sein Bewusstsein und holte alles hervor, was irgendwie interessant erschien.
Netzweber verhielten sich so. Seit Jahrmillionen stand es in den Datenspeichern der Schiffe und der Hibernationswelten. Es war der Lohn für ihren Transport, den sie sich ungefragt nahmen.
Ellonit konnte sich nicht erinnern, um eine Passage gebeten zu haben. Den Netzweber scherte es offensichtlich nicht.
Der Frequenzfolger fragte sich, auf welcher Seite diese Wesen standen. Halfen sie den Terranern, VATROX- VAMU oder den Völkern von Anthuresta? Oder ... Was waren sie überhaupt?
Der Netzweber war zu feige, es ihm zu beantworten. Ein überheblicher Kerl.
Die nächste Erinnerung drängte ans Licht, taumelte durch sein Bewusstsein. Sie stammte aus der Dritten Hyperdepression. Sein Pigasoshaar war noch ganz kurz gewesen, und ein paar Vatrox hatten ihn deswegen verspottet. Etliche Dekaden später - sie hatten den Vorfall längst vergessen - hatte er sie in einen präparierten Mediensaal gelockt. Doch als er die Bombe zünden wollte, war sie nicht hochgegangen.
Die Kriegsordonnanz hatte es verhindert und ihm damit den Weg auf der Karriereleiter offengehalten.
Ellonit verspürte die unendliche Leichtigkeit, die ihn durchdrang. Sein Gespür für Raum und Zeit veränderte sich. Seine Gedanken wurden langsamer,
Weitere Kostenlose Bücher