Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
2666

2666

Titel: 2666 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roberto Bolaño
Vom Netzwerk:
aussehen wie sein Bruder, der Rektor, dachte Kessler. Aber die Beamten lachten und luden ihn zu einem letzten Gläschen Bacanora ein und sagten nein, so dürfe er sich das nicht vorstellen, weil Don Pedro keine, wirklich nicht die geringste Ähnlichkeit mit Don Pablo, dem Rektor, habe, der ein hochgewachsener Typ sei und dünn, nur Haut und Knochen, könnte man meinen, Don Pedro dagegen eher klein und gedrungen, breitschultrig, aber gedrungen und schon ein wenig füllig, denn er liebe gutes Essen und verschmähe weder die nordmexikanische Küche noch amerikanische Hamburger. Daraufhin fragte sich Kessler im Stillen, ob er mit diesem Polizisten reden sollte. Ob er sich mit ihm treffen sollte. Und er fragte sich, warum der örtliche Polizeichef nicht seinerseits ihn aufgesucht habe, schließlich war er hier der Gast. Er schrieb sich also seinen Namen in ein Notizbuch. Pedro Negrete, ehemaliger Kriminalbeamter, Chef der Ortspolizei von Santa Teresa, Respektsperson, nicht zu meiner Begrüßung erschienen. Dann wandte er sich anderen Dingen zu. Wandte sich den Morden an Frauen zu, studierte einen nach dem anderen. Wandte sich dem Bacanora zu, ein verflucht leckeres Zeug. Wandte sich der Vorbereitung seiner beiden Universitätsvorträge zu. Und eines Nachmittags ging er durch die Hintertür hinaus, wie am Tag seiner Ankunft, und fuhr im Taxi zum Kunsthandwerksmarkt, den einige Indianermarkt nannten, andere Nordmexikomarkt, um ein Andenken für seine Frau zu kaufen. Und wie beim ersten Mal folgte ihm auf dem ganzen Weg inkognito ein Polizeiwagen, ohne dass er es merkte.
    Als die Journalisten gegangen waren, legte die Anwältin den Kopf auf die Arme und begann leise zu schluchzen, mit einer Diskretion, die ihre weiße Haut Lügen strafte. Indianerinnen weinten so. Manche Mestizinnen. Aber weiße Frauen nicht, vor allem nicht, wenn sie studiert hatten. Als sie Haas' Hand auf ihrer Schulter spürte - keine zärtliche, eher eine freundschaftliche Geste, vielleicht nicht einmal eine freundschaftliche, sondern eine symbolische Geste -, trockneten die wenigen Tränen, die sie über dem Tisch vergossen hatte (einem Tisch, der nach Desinfektionsmittel und seltsamerweise nach Schießpulver roch), und sie hob den Kopf und beobachtete das bleiche Gesicht ihres Mandanten, ihres Geliebten, ihres Freundes, ein starres und zugleich gelöstes Gesicht (wie konnte man gleichzeitig starr und gelöst sein?), das sie mit wissenschaftlicher Strenge beobachtete, aber nicht von diesem Zimmer im Gefängnis aus, sondern von einem in Schwefeldämpfe gehüllten anderen Planeten.
    Am fünfundzwanzigsten November wurde die zweiunddreißigjährige María Elena Torres in ihrer Wohnung in der Calle Sucre, Siedlung Rubén Daría, tot aufgefunden. Zwei Tage zuvor war eine Demonstration durch Santa Teresa gezogen, genauer gesagt: Von der Universität zum Rathaus, um gegen die Morde an Frauen und die Straflosigkeit der Täter zu protestieren. Zu dem Protestmarsch aufgerufen hatte die FSDF, der sich verschiedene Nichtregierungsorganisationen, der PRD und einige Studentengruppen anschlossen. Nach Behördenangaben lag die Teilnehmerzahl bei nicht mehr als fünftausend. Die Veranstalter sprachen von über sechzigtausend Menschen, die durch die Straßen von Santa Teresa zogen. Unter ihnen María Elena Torres. Zwei Tage später wurde sie in ihrer eigenen Wohnung erstochen. Einer der Messerstiche ging quer durch den Hals und verursachte eine Blutung, an der sie letztlich starb. María Elena Torres lebte allein, sie hatte sich vor kurzem von ihrem Mann getrennt. Kinder hatte sie keine. Nach Aussage der Nachbarn gab es in der fraglichen Woche einen Streit mit ihrem Exmann. Als die Polizei bei der Pension eintraf, in der der Ehemann lebte, hatte dieser sich bereits aus dem Staub gemacht. Der Fall wurde dem aus Hermosillo frisch eingetroffenen Kommissar Luis Villaseñor übertragen, der nach einwöchigen Ermittlungen zu dem Schluss kam, dass nicht der Ehemann der Mörder war, sondern der Geliebte von María Elena Torres, ein gewisser Augusto oder Tito Escobar, mit dem die Tote seit einem Monat Umgang pflegte. Dieser Escobar wohnte in der Siedlung La Vistosa; von einem Beruf war bei ihm nichts bekannt. Als man ihn dort abholen wollte, war er nicht da. Wie der Ehemann hatte er sich aus dem Staub gemacht. Statt seiner traf man bei ihm drei Männer an. Diese erklärten auf Befragen, sie hätten Escobar eines Nachts mit blutverschmiertem Hemd nach Hause kommen sehen. Kommissar

Weitere Kostenlose Bücher