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Geld. Damals kam Kelly zu dem Schluss, dass der Name Kelly viel besser zu ihr passte. Ich sagte weiter Luz María zu ihr, aber alle anderen nannten sie Kelly, bis sie selbst eines Tages auf mich zukam. Sie sagte: Azucena, Luz María gefallt mir nicht, ich mag Kelly lieber, alle nennen mich so, kannst du das nicht auch tun? Ich sagte: Kein Problem. Wenn du willst, dass ich Kelly zu dir sage, tue ich das. Und von da an nannte ich sie Kelly. Anfangs fand ich das witzig. Die typische US-amerikanische Kitschnummer. Aber dann erkannte ich, dass der Name ihr wie auf den Leib geschrieben war. Vielleicht weil Kelly ein bisschen was von Grace Kelly hatte. Oder weil Kelly ein kurzer Name war, zweisilbig, Luz María ist viel länger. Oder weil man bei Luz María an Religion dachte, und bei Kelly dachte man an nichts oder dachte an ein Foto. Irgendwo muss ich noch Briefe von ihr haben, die mit Kelly R. Parker unterschrieben sind. Ich glaube, sie unterschrieb sogar ihre Schecks so. Kelly Rivera Parker. Manche Menschen glauben, ein Name sei Geschick und Verhängnis. Ich glaube das nicht. Aber wenn es so wäre, hätte Kelly mit der Wahl dieses Namens in gewisser Weise den ersten Schritt in Richtung Unsichtbarkeit, in Richtung Alptraum getan. Glauben Sie, dass der Name das Schicksal enthält? Nein, sagte Sergio, und es ist besser für mich, es nicht zu glauben. Warum? seufzte die Abgeordnete ohne Neugier. Weil ich einen Allerweltsnamen habe, sagte Sergio und blickte in die schwarzen Brillengläser seiner Gastgeberin. Für einen Moment hielt sich die Abgeordnete mit beiden Händen den Kopf, als hätte sie Migräne. Soll ich Ihnen etwas sagen? Alle Namen sind Allerweltsnamen, alle sind gewöhnlich. Ob man Kelly oder Luz María heißt, ist im Grunde egal. Namen sind Schall und Rauch. Das müsste man den Kindern schon in der Grundschule beibringen. Aber davor haben wir Angst.
Die Mülldeponie El Chile beeindruckte Kessler längst nicht so wie die Straßen der Siedlungen, in denen die Frauen entführt worden waren und die er im sicheren Innern eines Polizeiwagens und eskortiert von einem zweiten durchfahren hatte: Die Siedlungen Kino, La Vistosa, Remedios Mayor und La Preciada im Südwesten der Stadt, die Siedlungen Las Flores, Plata, Álamos und Lamas del Taro im Westen, die sich um die Industrieparks zogen, angebunden wie durch eine doppelte Wirbelsäule über die Avenidas Rubén Daría und Carranza, und die Siedlungen San Bartolomé, Guadalupe Victoria, Ciudad Nueva und Las Rositas im Nordwesten der Stadt. Am helllichten Tag durch diese Straßen zu gehen, sagte er der Presse, macht Angst. Ich meine, macht einem Mann wie mir Angst. Die Journalisten, von denen keiner in diesen Vierteln lebte, nickten. Die Polizisten dagegen lächelten in sich hinein. Kesslers Ausdrucksweise kam ihnen naiv vor. Ein Gringo eben. Ein guter Gringo, klar, die bösen Gringos drückten sich anders aus, redeten anders. Nachts sind sie für Frauen eine Gefahr. Außerdem ist das grob fahrlässig. Die meisten Straßen, mit Ausnahme der Hauptverkehrsstraßen, auf denen die Busse fahren, sind mangelhaft oder überhaupt nicht beleuchtet. In einigen Vierteln lässt sich die Polizei nicht blicken, sagte er zum Bürgermeister, der auf seinem Stuhl herumrutschte, als hätte ihn eine Schlange gebissen, und ein unendlich trauriges, unendlich verständnisvolles Gesicht machte. Der Generalstaatsanwalt Sonoras, der Oberstaatsanwalt und die Kriminalbeamten sagten, es bestünde die Möglichkeit, dass das Problem vielleicht, möglicherweise, eventuell, sage ich, wie man so schön sagt, ein Problem der örtlichen Polizei sein könnte, die Pedro Negrete, dem Zwillingsbruder des Rektors der Universität, untersteht. Kessler fragte, wer Pedro Negrete sei, ob man ihn ihm vorgestellt habe, und die jungen, aber energischen Beamten, die ihn überallhin eskortiert hatten und ganz gut Englisch sprachen, sagten nein, sie hätten Don Pedro nicht in Señor Kesslers Nähe gesehen, und Kessler bat, man möge ihn ihm beschreiben, vielleicht habe er ihn ja doch gesehen, am ersten Tag, am Flughafen, und die Beamten gaben ihm eine ungefähre, etwas lustlose Beschreibung des Polizeichefs, ein schlechtes Phantombild, als wenn sie es schon bereuen würden, Pedro Negrete erwähnt zu haben. Und das Phantombild sagte Kessler nichts. Es blieb stumm. Gefügt aus hohlen Worten. Ein harter, gradliniger Typ, sagten die jungen, energischen Kriminalbeamten. Früher selbst bei der Kriminalpolizei. Er muss so
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