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eine der Töchter ein, die älteste und hübscheste, und sagte, sie wisse, wo Halder derzeit wohne. Dann lief sie die Treppe hinunter, und Reiter folgte ihr. Sie zog ihn daraufhin mit sich in einen öffentlichen Park. Dort, in einem vor indiskreten Blicken geschützten Winkel, drehte sie sich um, als sähe sie ihn zum ersten Mal, dann sprang sie ihn an und drückte ihm einen Kuss auf den Mund. Reiter schob sie von sich und fragte sie, warum um Himmels willen sie ihn küsse. Sie sagte, sie sei glücklich, ihn zu sehen. Reiter sah ihr in die wasserblauen Augen, Augen wie die einer Blinden, und erkannte, dass er mit einer Verrückten sprach.
Dennoch wollte er wissen, welche Informationen das Mädchen über Halder besaß. Die Kleine sagte, wenn er sich nicht küssen lasse, würde sie nichts sagen. Sie küssten sich erneut: Die Zunge des Mädchens war anfangs sehr trocken, und Reiter umschmeichelte sie mit seiner Zunge, bis sie ganz feucht war. Wo wohnt Hugo Halder jetzt?, fragte er. Das Mädchen lächelte ihn an wie ein ziemlich begriffsstutziges Kind. Errätst du es nicht?, fragte sie. Reiter schüttelte den Kopf. Das Mädchen, das nicht älter als sechzehn sein konnte, begann so heftig zu lachen, dass Reiter dachte, wenn sie so weiterlacht, dauert es nicht lange, bis die Polizei kommt, und es fiel ihm nichts Besseres ein, als sie noch einmal auf den Mund zu küssen.
»Ich heiße Ingeborg«, sagte das Mädchen, als Reiter seine Lippen von den ihren löste.
»Ich heiße Hans Reiter«, sagte er.
Daraufhin blickte sie auf den Boden aus Sand und feinem Kies und erbleichte sichtlich, als würde sie jeden Moment ohnmächtig werden.
»Mein Name«, wiederholte sie, »lautet Ingeborg Bauer, ich hoffe, du vergisst mich nie.«
Von diesem Moment an unterhielten sie sich in immer leiserem Flüsterton.
»Werde ich bestimmt nicht«, sagte Reiter.
»Schwör es mir«, sagte das Mädchen.
»Ich schwöre es dir«, sagte Reiter.
»Bei wem schwörst du, bei deiner Mutter, bei deinem Vater, bei Gott?«, fragte das Mädchen.
»Ich schwöre es bei Gott«, sagte Reiter.
»Ich glaube nicht an Gott«, sagte das Mädchen.
»Dann schwöre ich bei meiner Mutter und meinem Vater«, sagte Reiter.
»Solche Schwüre gelten nicht«, sagte das Mädchen, »die Eltern gelten nicht, man versucht immer, zu vergessen, dass man Eltern hat.«
»Ich nicht«, sagte Reiter.
»Du auch«, sagte das Mädchen, »und ich und alle.«
»Dann schwöre ich bei was du willst«, sagte Reiter.
»Schwörst du bei deiner Division?«, fragte das Mädchen.
»Ich schwöre bei meiner Division und meinem Regiment und meinem Bataillon«, sagte Reiter und fügte dann hinzu, er schwöre es auch bei seinem Korps und seiner Armee.
»Ich muss dir gestehen, aber verrat es niemandem«, sagte das Mädchen, »dass ich nicht an die Armee glaube.«
»Woran glaubst du dann?«, fragte Reiter.
»An wenige Dinge«, sagte das Mädchen nach einem Moment des Nachdenkens. »Manchmal vergesse ich sogar die Dinge, an die ich glaube. Es sind sehr wenige, sehr wenige, und die Dinge, an die ich nicht glaube, sind viele, unendlich viele, so viele, dass die, an die ich glaube, dahinter verschwinden. In diesem Moment, zum Beispiel, kann ich mich an keine mehr erinnern.«
»Glaubst du an die Liebe?«, fragte Reiter.
»Offen gestanden nein«, sagte das Mädchen.
»Und an die Anständigkeit?«, fragte Reiter.
»Ach, noch weniger als an die Liebe«, sagte das Mädchen.
»Glaubst du an Sonnenuntergänge«, fragte Reiter, »an sternenklare Nächte, an durchscheinendes Morgenlicht? «
»Nein, nein, nein«, sagte das Mädchen mit sichtlich angewiderter Miene, »an lächerliche Dinge glaube ich nicht.«
»Du hast recht«, sagte Reiter. »Und an Bücher?«
»Schon gar nicht«, sagte das Mädchen, »außerdem gibt es bei mir zu Hause nur Nazi-Bücher, Nazi-Politik, Nazi-Geschichte, Nazi-Wirtschaft, Nazi-Mythologie, Nazi-Dichtung, Nazi-Romane, Nazi-Theaterstücke. «
»Ich hatte keine Ahnung, dass die Nazis so viel geschrieben haben«, sagte Reiter.
»Wie ich sehe, hast du von sehr wenig Ahnung, Hans«, sagte das Mädchen, »außer vom Küssen.«
»Das stimmt«, sagte Reiter, der immer gern bereit war, seine Unwissenheit einzugestehen.
Mittlerweile spazierten beide Hand in Hand durch den Park, und von Zeit zu Zeit blieb Ingeborg stehen und küsste Reiter auf den Mund, und wer immer sie sah, hätte sie für einen jungen Soldaten und seine Braut gehalten, zu arm, um sich anderswo zu treffen,
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