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Imaginisten. Er las Babel, las die ersten Erzählungen von Plaronow, las Boris Pilniak (der ihm überhaupt nicht gefiel), las Andrej Belyj, dessen Roman Petersburg ihn vier Tage und Nächte nicht schlafen ließ. Er schrieb einen Essay über die Zukunft der Literatur, der mit dem Wort »Nichts« begann und mit dem Wort »nichts« endete. Gleichzeitig leidet er an seiner Beziehung zu Maria Samjatina, die außer ihm noch einen weiteren Liebhaber hat, einen Mediziner, Spezialist für Lungenkrankheiten, der Tuberkulosepatienten heilt (!) und die meiste Zeit auf der Krim lebt, ein Mann, von dem Maria redet, als handelte es sich um einen reinkarnierten Jesus Christus, einen Christus ohne Bart und im weißen Kittel, einem weißen Kittel, der durch Anskys Träume von 1929 irrlichtern sollte. Außerdem arbeitete er unermüdlich in der Moskauer Bibliothek. Manchmal, wenn er daran dachte, schrieb er seinen Eltern Briefe, die diese zärtlich, wehmütig und tapfer beantworteten, denn sie verloren kein Wort über den Hunger oder den Mangel, der sich in den einst fruchtbaren Gebieten am Dnjepr eingenistet hatte. Ihm blieb sogar Zeit, ein merkwürdig humoristisches Stück mit dem Titel Landauer zu schreiben, das von den letzten Tagen des Schriftstellers Gustav Landauer handelt, der 1918 eine Rede an die Schriftsteller schrieb und 1919 wegen seiner Beteiligung an der Münchner Räterepublik ermordet wurde. Ebenfalls 1929 las er einen kürzlich erschienenen Roman von Alfred Döblin, Berlin Alexanderplatz, den er für bemerkenswert und herausragend hielt und der ihn veranlasste, weitere Bücher von Döblin zu suchen und in der Moskauer Bibliothek zu finden: Die drei Sprünge des Wang-lun von 1915, Wadzeks Kampf mit der Dampfturbine von 1918, Wallenstein von 1920 und Berge Meere und Giganten von 1924.
Und während Ansky Döblin las oder Tuchatschewski interviewte oder in seinem Zimmer in der Moskauer Petrowstraße mit Maria Samjatina schlief, veröffentlichte Ephraim Iwanow seinen ersten großen Roman, der ihm die Pforten des Himmels öffnete, indem er ihm zum einen die Gunst der Leser zurückgewann, zum anderen erstmals Respekt von Seiten derer eintrug, die er als seinesgleichen ansah, der Schriftsteller, der Schriftsteller von Talent, der Hüter des Feuers, des Feuers von Tolstoi und Tschechow, des Feuers von Puschkin, des Feuers von Gogol, und die nun plötzlich auf ihn aufmerksam wurden, die ihn tatsächlich zum ersten Mal zur Kenntnis nahmen und akzeptierten.
Gorki, der damals seinen Wohnsitz noch nicht wieder nach Moskau zurückverlegt hatte, schrieb ihm einen in Italien abgestempelten Brief, der den mahnenden Finger des Gründervaters durchblicken ließ, in dem aber auch ein Strom der Sympathie und die Dankbarkeit des Lesers spürbar waren.
Ihr Roman, schrieb er, hat mir sehr ... vergnügliche Augenblicke bereitet. Aus Ihren Seiten spricht ein ... Glaube, eine Hoffnung. Man kann von Ihrer Phantasie nicht behaupten, sie sei ... hölzern. Nein, auf keinen Fall kann man das ... behaupten. Einige sprechen schon von einem ... sowjetischen Jules Verne. Nach reiflicher Überlegung glaube ich jedoch, Sie sind ... besser als Jules Verne. Ihre Feder ist reifer. Sie lässt sich leiten von revolutionären … Intuitionen. Sie ist groß. Wie nicht anders zu erwarten von einem … Kommunisten. Aber reden wir offen, wie ... Sowjets. Die proletarische Literatur spricht zum Menschen ... von heute. Schildert Probleme, deren Lösung vielleicht erst morgen ... möglich ist. Aber sie richtet sich an den ... heutigen Arbeiter, nicht an den Arbeiter der Zukunft. In Ihren nächsten Büchern sollten Sie das vielleicht … berücksichtigen.
Wenn Stendhal, wie man hört, getanzt hat, als er Balzacs Kommentar zur Karthause von Parma las, so vergoss Iwanow zahllose Tränen des Glücks, als er Gorkis Brief erhielt.
Der einhellig gelobte Roman hieß Die Dämmerung und besaß eine sehr einfache Handlung: Ein Junge von vierzehn Jahren verlässt seine Familie, um sich der Revolution anzuschließen. Bald schon kämpft er gegen die Truppen Wrangels. Mitten im Gefecht wird er verwundet, und seine Kameraden halten ihn für tot. Doch bevor die geflügelten Aasfresser sich an den Leichen mästen, geht ein Raumschiff auf dem Schlachtfeld nieder und nimmt ihn und andere tödlich Verwundete auf. Dann entschwindet das Raumschiff in die Stratosphäre und begibt sich auf eine Umlaufbahn um die Erde. In kürzester Zeit erholen sich alle Verwundeten von ihren Verletzungen.
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