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268 - Schritt in die Unsterblichkeit

268 - Schritt in die Unsterblichkeit

Titel: 268 - Schritt in die Unsterblichkeit
Autoren: Jo Zybell
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dennoch gab er seinen Platz auf der Kommandobrücke nicht auf: Teller hatte ihm befohlen, die Ortung zu überwachen. Hin und wieder schlief er vier oder fünf Stunden lang, dann hatte der Professor ein Auge auf die Ortung. Aber das kam selten vor, denn Nathanael brauchte wenig Schlaf, so gut wie keinen eigentlich. Manchmal fragte sich Biggy ernsthaft, ob Nathanael wirklich ein Mensch war, oder nicht in Wahrheit ein Roboter.
    Sie sprachen nur das Nötigste während der sieben oder acht Tage, bevor das Piratenschiff zum letzten Mal auftauchte. Oder sollte man sagen: nur das Unnötigste? Sie sprachen, wenn sie sprachen, über Wachablösungen, den Speiseplan, den Küchenplan und das Wetter. Nötig aber wäre gewesen, über die Toten zu sprechen, über die Entführten und über die Fehler, die während des Kampfes gemacht worden waren. Nötig wäre vor allem gewesen, über das zu sprechen, was doch alle gesehen hatten, woran alle Tag und Nacht dachten.
    Biggy versuchte es zwei Tage, bevor das Piratenschiff das letzte Mal angriff. Mit Isabelle saß sie in der Kombüse und schälte die letzten Kartoffeln.
    Marc Teller kam herein, um sich etwas zu trinken zu holen. Mit der geöffneten Bierdose setzte er sich zu ihnen. »Wie geht es euch?«
    »Danke, auch schlecht«, sagte Isabelle, lächelte gequält und nahm einen Schluck aus der Bierdose, die Teller ihr anbot.
    »Ich sehe sie immer wieder vor mir«, sagte Biggy. »Immer wenn ich die Augen schließe.«
    »Wen?«, fragte Teller.
    »Die Fischwesen! Du hast sie doch auch gesehen…?«
    »Hört auf!« Isabelle knallte die Bierdose auf den Tisch. »Ich will nichts davon hören…!« Sie raufte sich die Haare, sprang auf und rannte hinaus.
    Biggy starrte die halb geschälte Kartoffel in ihrer Hand an. Teller nahm die Bierdose, trank einen Schluck und stand auf. Auf dem Weg aus der Kombüse blieb er neben ihr stehen, legte die Hand auf ihre Schulter und sagte: »Ich dachte auch erst, es seien irgendwelche Meeresungeheuer auf zwei Beinen.« Er drückte Biggys Schulter, als wollte er sie massieren. »Aber das war nur der Schock, weißt du? Unsere Nerven. Wir sind alle ziemlich am Ende. Da sieht man auch schon mal das eine oder andere Marsmännchen.« Er lachte freudlos auf, strich ihr über das Haar und schlurfte zur Kombüsentür.
    »Was waren es dann für Wesen, wenn keine Fischmenschen?«, sagte Biggy müde. »Verkleidete Liliputaner?«
    »Keine Ahnung. Kampftaucher irgendeines U-Boots, das den Piraten auf der Spur war, nehme ich an.«
    Nach dem Essen fiel Biggy auf, dass die Yacht an Geschwindigkeit verlor. Am Abend lud Marc Teller zu einer Pokerpartie. »Um uns auf andere Gedanken zu bringen«, wie er sagte. Sogar Isabelle spielte mit.
    Während Teller die Karten für die erste Partie ausgab, teilte er den anderen vieren mit, dass während der Schießerei die Verbindungen zwischen dem Elektrotriebwerk und den Solarzellen zerstört worden waren. »Der Tank für den Dieseltreibstoff ist leer, die MOTHER NATURE fährt schon seit zwei Tagen mit Strom. Und nun ist auch der Akku leer. Aber keine Sorge, wir werden den Schaden reparieren können.« Er grinste, leerte sein Whiskyglas und blickte in die Runde. »Wer kauft wie viele Karten?«
    Gegen Mittag des nächsten Tages stand das Triebwerk still. Teller warf die Anker aus. Zusammen mit Cleveland und Nathanael machte er sich an die Reparaturarbeiten. Am Abend begann Biggy, was sie schon vom ersten Reisetag an geplant hatte: Sie schrieb den ersten Eintrag in ihr Reisetagebuch.
    Ich weiß nicht, wie das hier enden wird, Mama , schrieb sie. Aber ich weiß jetzt, ich hätte auf dich hören sollen. Ein toter Fisch schaukelte unter der Landungsbrücke im Hafenbecken, als ich an Bord ging. Aale zerfleischten ihn. Das war etwa zwanzig Minuten, bevor du angerufen hast. Nun, ich will nicht behaupten, dass die MOTHER NATURE schon dem toten Barsch gleicht und die Piraten sich wie gefräßige Aale in uns verbeißen werden, doch ich habe Angst. Und vor allem plagt mich das schreckliche Gefühl, unser Unglück könnte noch gar nicht richtig angefangen haben. Wie auch immer - mein Tagebuch so zu schreiben, als würde ich mit dir reden, gibt mir das Gefühl, dir nahe und noch lange nicht am Ende zu sein…
    Am Morgen des folgenden Tages stelzte Nathanael Menachim aus dem Ruderhaus. Er trat auf die Galerie und an die Balustrade des Zwischendecks und sah hinunter in den Essbereich, wo Teller, Cleveland und Biggy gerade den Frühstückstisch deckten.
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