269 - Andronenreiter
Vornamen ansprachen. Vater oder gar Papa schickte sich nicht, schon gar nicht für Männer. Kosenamen durfte man in intimen Momenten vielleicht der Mutter geben, aber keinem mächtigen Andronenreiter.
Das Farmoberhaupt schaute kurz zum Horizont, an dem die Sonne nur noch als kleiner Halbkreisrest über den Hügeln stand, dann atmete er einmal zufrieden tief durch. »Genug getan für einen Tag«, stellte er fest und nahm sich jetzt auch die Zeit, Gosy mit einer Umarmung zu begrüßen. »Wir sollten ins Haus gehen, eure Mutter hat sicher schon das Abendessen auf dem Tisch stehen. Lassen wir sie nicht warten und ehren ihre Kochkünste, wie es ihr zusteht!«
Alfoons rannte voraus. »O Mann, wenn ich das René erzähle, fällt der um vor Neid!«, sagte er mehr zu sich selbst als zu den anderen. René war sein etwa gleichaltriger Cousin, der Sohn von Brunos Schwester, und die beiden waren die besten Freunde. Allerdings musste der andere Junge noch ein halbes Jahr auf seinen Geburtstag warten, und Alfoons würde nicht aufhören, mit seinem ersten Zuritt vor ihm anzugeben, bis sein Freund ihn ebenfalls absolviert hatte.
Manchmal bin ich doch froh, dass ich eine Frau bin , dachte Gosy belustigt, aber ihr innerliches Lächeln war von Bitterkeit geprägt. Niemand hier glaubte an ihre Fähigkeiten, selbst auch ein vollwertiges Mitglied der Gilde sein zu können. Nein, das stimmt nicht , korrigierte sie sich in Gedanken. Niemand will, dass ich mein Können unter Beweis stelle. Für alle anderen ist es wichtiger, die Traditionen zu wahren, als dass sie sich mit meinen Begabungen glücklich schätzen.
»Warum so still, Tochter?«, wollte Bruno wissen. »Du plapperst doch sonst wie ein Wasserfall, wenn du von einer Reise nach Hause kommst.«
»Es war ein anstrengender Tag«, erwiderte Gosy abwinkend. Sie hatte keine große Lust, mit ihrem Vater eine Grundsatzdiskussion über den Sinn oder Unsinn der Gilde-Regeln zu führen. Das hatten sie schon oft getan, und es hatte nie etwas gebracht. Bruno war ein Sturkopf. Genau wie sie selbst. Ich bin wahrlich die Tochter meines Vaters.
Sie schlenderten Seite an Seite zum Wohnhaus herüber. In den Fenstern sahen sie das Licht der Ölkerzen, die jetzt im Haus entzündet wurden, damit sie es auch bei Nacht gemütlich und hell hatten.
»Aber du wirst mir schon noch erzählen, wie deine Reise aufs Festland verlaufen ist, oder?«, fragte Bruno freundlich. Seine Bassstimme hatte wieder einen wohlwollenden Tonfall angenommen.
»Natürlich«, stimmte Gosy zu. »Die Contes des Toscaana freuen sich - wie immer - über geschäftliche Kontakte mit der Gilde der Andronenreiter«, berichtete sie. »Sie wissen es zu schätzen, dass wir sie so zuverlässig mit qualitativ hochwertigen Tieren und Rei-«
»Ich glaube, das formale Einschmeicheln können wir weglassen«, unterbrach Bruno sie und bedeutete ihr mit einer Geste, auf den Punkt zu kommen.
Gosy nickte. »Also gut. Auch in diesem Jahr haben wir wieder einige Aufträge bekommen…«
»Prächtig!«, freute sich Bruno. »Doch höre ich da ein ›Aber‹ heraus?«
Das Mädchen strich sich gedankenverloren eine Haarwulst aus dem Gesicht. »In der Tat, Bruno. Es sind nicht so viele Aufträge wie sonst.«
Der Sippenführer hielt inne und fasste seine Tochter am Arm. »Und wieso nicht?« Er schien einen Augenblick zu überlegen, dann sah er Gosy erschrocken an. »Wird etwa nicht mehr gekämpft?« In den letzten Jahren waren die Geschäfte gut gelaufen. Immer mehr Machthaber kämpften immer öfter um Ländereien der Festlandregion, die Saadina am nächsten lag. Ihr Verkauf dorthin hatte in den letzten Jahren immer mehr zugenommen.
»Doch, doch!«, beruhigte sie ihn. »Das schon. Aber einige der Contes bekommen langsam Probleme, den ständigen Angriffen ihrer Nachbarn noch Herr zu werden. Manche frisst der andauernde Konflikt langsam aber sicher auf, und wenn die Grafen keine Mittel mehr zur Verfügung haben, uns für unsere Dienste und Waren zu bezahlen, dann kaufen sie auch nichts. So kommt es, dass drei unserer Stammkunden dieses Frühjahr nicht ein einziges Tier oder Zubehör kaufen wollen.«
»Das ist noch kein Drama für unsere Gilde, aber eine beunruhigende Entwicklung«, murmelte Bruno.
Sie setzten ihren Weg zum Haus fort. Als sie an den Holzstufen der Veranda angekommen waren, hockten sie sich hin und zogen ihre Stiefel aus.
»Darüber hinaus haben einige Contes angemerkt, dass sie es nicht gerne sehen, wenn wir ihre Feinde beliefern«,
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