2727 – Am Gravo-Abgrund
Müssen wir seinen Gleiter stehlen?«
»Das wäre vielleicht das Beste. Oder wir vertrauen Pazuzu.«
Vor Toufec kam endlich ein Ende der Würfelbarrikade in Sicht. »Sind auf der anderen Seite Onryonen?«
»Keine in der Nähe. Weiter weg vielleicht. Es ist sehr undeutlich.«
Sie schlüpften unter den Würfeln hervor.
Toufec streckte sich. Er verglich die Koordinaten. »Woytroms Wohneinheit ist zum Greifen nah, wenn sie auch tiefer liegt. Wir müssen gut fünfhundert Meter runter.«
»Nach einer Wohneinheit sieht hier nichts aus.«
Shanda hatte recht.
Vor ihnen erstreckte sich eine glatte Fläche aus Metall. In ihrer Mitte verfärbte sie sich dunkler. Auch die Wände und die Decke waren eben und leer. Nirgendwo fand Toufec eine Schleuse, einen Zugang oder dergleichen.
Toufec schickte über Pazuzu Sonden aus. Überrascht betrachtete er das Ergebnis. »Wir stehen genau davor. Die dunkle Stelle dort vorn ist ein Durchbruch.«
Vorsichtig trat er an die Abbruchkante. Das Loch maß gut dreißig Meter.
»Wow.« Shanda fasste nach seiner Hand wie jemand, der Halt suchte. »Ein Turm in der Tiefe.«
Toufec ging in die Knie. Er sah in eine Kaverne, groß wie die Ausläufer von NATHANS Privatgemächern. Darin befand sich ein einziges Gebäude: ein Turm, der gut zweihundert Meter in die Höhe reichte. Er bestand komplett aus Technogeflecht, war aber ohne jeden Zweifel ein Bauwerk. Fenster, Balkone und Balustraden verrieten es. Über seiner Spitze ragte ein abstraktes Gebilde auf. Eine Kugel, mehrere Meter groß, aus der feinste Technofäden wie Sicherungsseile bis zu den Wänden der Schlucht reichten.
»Was ist das?«, flüsterte Shanda. Sie ließ ihn los und kniete sich hin, den Kopf vorgereckt.
Obwohl niemand sie hören konnte, sprach auch Toufec unvermittelt leise. »Ich habe eine Ahnung. Sagte YLA nicht, Woytrom sei sehr von sich überzeugt und extrovertiert? Zumindest für einen Onryonen?«
»Ja, warum?«
»Was ist für einen Onryonen wie Woytrom ein besonderer Ort?«
Shanda sah zu Toufec auf. Ihre Augen glänzten. »Der Ursprung. Eine der Keimzellen, die das Technogeflecht geboren haben.«
»Oder die eine, aus der heraus der gesamte Komplex nach und nach entstand. Wie auch immer. Diese Kugel da unten könnte der Beginn sein.«
8.
Springer schlägt Dame
Kemeny war in NATHANS private Gemächer vorgedrungen. Er hatte seinen Platz im Pneumosessel vor der gut zwei Meter durchmessenden Kugel eingenommen, die ihm als Holoschirm und Schnittstelle zu YLA diente.
YLA stand aufrecht neben der Kugel. Ein leichtes Flimmern lief durch ihre Spiegelscherben.
»Der Eingriff ist vorbereitet. Sämtliche Gravoprojektoren Lunas sind angezapft. Wir können jederzeit zugreifen.«
Kemeny überprüfte YLAS Aktionen. Die Berechnungen sahen vielversprechend aus, die Prognosen auch. Wenn die Wirklichkeit nur halb so gute Ergebnisse lieferte wie die Simulation, würde das Zusammenschalten der Projektoren das Synapsenpriorat weit mehr schädigen, als es Angh Pegolas Bomben vermocht hatten. Sie würden das Priorat aus dem Takt bringen und lahmlegen. Wenn alles klappte, würde die Hyperbarie-Energiequelle so massiv gestört werden, dass ein Abbruch der Züge unumgänglich wurde.
»YLA misst Aktivität an.«
»Gravophänomene?«
»Nein. Aber YLA vermutet anhand der Daten, dass der nächste Zug kurz bevorsteht. Sie rät aus Sicherheitsgründen, den Irritator bald zu starten.«
»Wir haben keine Rückmeldung von Shanda und Toufec. Wie viel Zeit bleibt uns bis zum Zug?«
»YLA ist unsicher. NATHAN schirmt sich ab. YLA kann nicht auf alle Bereiche zugreifen. Vielleicht zwei Stunden. Vielleicht drei.«
Um den Irritator ohne Rückmeldung von Shanda und Toufec einzuschalten, musste Kemeny sich mit Pri absprechen. Sie leitete diesen Einsatz. Wenn er aber Kontakt zum Widerstand aufnahm, riskierte er im schlimmsten Fall dessen Entdeckung. »Warten wir lieber.«
YLA wandte sich von ihm ab.
Kemeny versank in den Bildern des Synapsenpriorats. Er nutzte die Zeit, sich weiter mit den gewonnenen Daten zu beschäftigen, die er von der Mission ins Mare Nubium mitgebracht hatte. Obwohl wenig Raum für wissenschaftliche Forschung geblieben war – Toufec hatte ihn gegen seinen Willen betäubt und fortgeschafft –, waren Kemeny anhand der Daten erste tiefere Rückschlüsse gelungen.
Er war fasziniert von den Erschaffern der Technokruste, den Tolocesten. Mit geschlossenen Augen lauschte Kemeny dem Lied NATHANS. Das allgegenwärtige Summen
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