2728 – Die Gravo-Architekten
Angst. Und sie wollten Antworten.
Ryotar Hannacoy trat zu Kemeny auf das Podest und ging mit kleinen Schritten zum Pult. Er blickte über die fünfzig Lunarer und vierzig Onryonen hinweg, die vor ihm saßen. »Ehe Fionn Kemeny euch seine wissenschaftliche Arbeit vorstellt und die bisherigen Ergebnisse der Bemühungen sämtlicher beteiligten Parteien vorstellt, habe ich eine Mitteilung zu machen.«
Die Stille im Saal war allumfassend. Hannacoys Goldaugen waren weit und offen. Er stand aufrecht wie ein Militär.
»Vor wenigen Stunden hat mir Aytosh Woytrom, unser bester Genifer, mitgeteilt, dass NATHAN eine Auswertung vorgelegt hat. Der Großrechner Lunas, den die Lunarer auch Mondgehirn nennen, hat herausgefunden, dass der Aufenthalt im Desasterfeld eine unangenehme Nebenwirkung hat. Die monströsen Gravo-Kräfte der vier Neutronensterne verzerren die Raumzeit. Sie bewirken eine Zeitdilatation. Da die Referenzdaten fehlen, kann NATHAN derzeit keine präzisen Angaben machen, aber wir gehen davon aus, dass Luna inzwischen von der Standardzeit in der Milchstraße abgewichen ist. Wie viel, lässt sich nicht bestimmen.«
Unruhe brach aus. Kemeny beobachtete, wie drei der fünf Reporter merklich blasser wurden. Bei einer Frau ließ es sich schlecht sagen, denn sie hatte die blaue Haut einer Ferronin. Ihre Gesichtszüge erinnerten Kemeny an YLA.
Er schüttelte kaum merklich den Kopf. YLA hatte ihn bereits vor mehreren Stunden von der Zeitdilatation in Kenntnis gesetzt, weswegen ihn Hannacoys Eröffnung wenig überraschte.
Hannacoy hob die Arme, und es trat Ruhe ein. »In der Milchstraße ist einige Zeit mehr vergangen. Vielleicht Tage, vielleicht Wochen. Im Positiven heißt das, dass Luna zweifellos inzwischen vermisst wird und vielleicht Hilfe unterwegs ist. Sowohl Onryonen als auch Terraner werden den verlorenen Mond suchen.«
Die Journalisten hoben die Hände, doch Hannacoy machte eine abwehrende Geste. »Das ist eine Mitteilung. Ihr könnt im Büro der Administration mehr erfahren. Jetzt gehört die Redezeit Fionn Kemeny, einem ungewöhnlichen Wissenschaftler und Professor der Hyperphysik, der euch die bisherigen Ergebnisse von Projekt Gravotaucher vorstellen möchte.«
»Danke, Kanzler Hannacoy!«. Kemeny fühlte sich unwirklich. Hannacoy stellte ihn vor, und das mit so viel Respekt? Noch vor einer Woche hätte Kemeny das für so abwegig gehalten, dass er jeden Koko für eine solch absurde Vorhersage auf der Stelle in einem Konverter verschrottet hätte.
Er zwang sich zu einem Lächeln und aktivierte eine Holosphäre. Neben dem Rednerpult tauchte die vergrößerte Darstellung jenes Raumschiffs auf, das sie bauen wollten.
»Das ist es«, sagte er und suchte kurz Blickkontakt mit Shanda Sarmotte, einem vertrauten Gesicht in der Menge. »Der Gegenstand unseres Projekts. Wir nennen es Gravotaucher, weil es unendlich klein ist. Wie ihr bereits in den Dossiers gelesen habt, ist das Gebilde nur wenige Pikometer groß, weswegen es innerhalb des Desasterfelds agieren kann. Es ist eher eine Sonde denn ein Raumschiff, auch wenn es in der Vergrößerung so aussieht. Diese Sonde soll den Steuerimpulsen nachgehen, die wir von Dhalaam-Delta geortet haben. Um diese Basis erreichen zu können – die sich wahrscheinlich an der Oberfläche oder knapp darunter befindet –, hat sie die Funktion eines Flugfahrzeugs. Onryonen und Tolocesten haben sogenannte tt-Progenitoren als Baumasse zur Verfügung gestellt.«
»Viel musste ja nicht gespendet werden«, murmelte eine lunare Abgeordnete mit violetten Haaren.
Angespanntes Lachen folgte.
Kemeny war die kurze Unterbrechung recht. Er lächelte die Abgeordnete freundlich an und blickte dann erneut auf Shanda Sarmotte, die mit kerzengeradem Rücken in der dritten Reihe saß. »Richtig. Die Kosten für das Baumaterial sind überschaubar. Wir nennen die Erbauer des Neutronengevierts Gravo-Architekten und sind uns einig, dass wir mit ihnen Kontakt aufnehmen müssen. Nun fragt ihr euch sicher, wie das gehen soll, weil kein Funkimpuls durch das Desasterfeld kommt.«
Nicken überall. Jemand räusperte sich.
Kemeny wies auf Shanda. »Zu unserem Glück haben wir eine Telepathin im Team. Sie wird mit der Sonde in Kontakt bleiben und sie gegebenenfalls steuern.«
Überraschte Laute waren zu hören.
»Telepathie?«, zischte ein dicker Abgeordneter mit Glatze in einem bunten Onryonengewand. »Ist der Kerl verrückt?«
»Ich kann dich hören«, sagte Kemeny ungerührt.
Einige lächelten. Es
Weitere Kostenlose Bücher