28 Minuten
zu lächeln, wenn Resnick ihn hochnahm. Sosehr Resnick seine Frau liebte, stellte er doch fest, dass die Gefühle für seinen Sohn stärker waren, als er es sich je hatte vorstellen können. Morgens zur Arbeit zu gehen und ihn zurückzulassen war, als müsse er ein Stück seiner selbst weggeben. Als Brian zwei war, wurde festgestellt, dass er eine künstliche Herzklappe benötigte. Die OP war riskant, aber der Junge kam durch.
Drei Jahre später forderten die vier Päckchen Zigaretten, die Resnicks Dad jeden Tag geraucht hatte, ihren Tribut, und er starb nach neunmonatigem intensivem Kampf an Lungenkrebs. Resnicks Mutter folgte ihm eine Woche später – offiziell war es Herzversagen. Ihr Tod, der natürlich ebenfalls entsetzlich war, überraschte Resnick nicht. Er wusste, dass seine Eltern sich sehr geliebt hatten, und hätte sich nie vorstellen können, dass einer ohne den anderen überlebte. Er hatte sich vom Tod seiner beiden Eltern noch nicht erholt, als er sechs Wochen später erfuhr, dass die künstliche Herzklappe seines Sohnes undicht war und ersetzt werden musste. Diesmal überlebte Brian die Operation nicht.
Carrie sagte, Resnick habe sie danach emotional verlassen. Er teilte diese Meinung nicht, sah aber auch keinen Sinn darin, mit ihr zu streiten. Er hielt es in der eigenen Haut halt nicht mehr aus. So einfach war es. Er konnte nicht schlafen, nicht still sitzen. In seiner Brust herrschte ein solcher Druck – er konnte nur frei atmen, wenn er in Bewegung war. Er begann, Überstunden zu machen und alle Zusatzaufgaben zu übernehmen, die er kriegen konnte, manchmal arbeitete er vierundzwanzig Stunden durch. Erschöpfung half. Wenn er erschöpft war, verlor er schon mal das Bewusstsein, sobald er die Augen schloss. Am schlimmsten – am allerschlimmsten – war es dann, wenn er träumte. In diesen Träumen kam immer Brian vor, und mit jedem Aufwachen wurde Resnick auf ein Neues bewusst, dass er seinen Jungen verloren hatte.
Zwei Jahre später erklärte Carrie Resnick, dass er an dem Tag von Brians erster Herz- OP seinen Sinn für Humor verloren hatte. Vielleicht sogar sein eigenes Herz.
Resnick starrte sie entgeistert an. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll.«
»Genau das meine ich, Alex. Der Mann, den ich geheiratet habe, hätte sich etwas überlegt, um mich zum Lachen zu bringen. Selbst wenn es etwas sehr Trauriges wäre.«
»Meine Frau, die ewige Optimistin.«
»Schlechter Versuch.« Sie machte eine Pause, ihre Haut wurde immer blasser. »Ich habe jeden Tag geweint, seit wir Brian verloren haben. Manchmal stundenlang. Ich glaube nicht, dass du auch nur einmal geweint hast. Ich glaube nicht, dass ich auch nur eine Träne von dir gesehen habe. Du versuchst, deiner Trauer zu entkommen, Alex. Aber wenn du weiterhin keine Trauer zulässt, dann weiß ich nicht, wie es zwischen uns besser werden soll.«
Resnick widersprach ihr nicht, aber er konnte auch nicht sitzen bleiben. Er sah zu viel von Brian in ihr, so wie sie ihm gegenübersaß und mit bittendem Blick darauf wartete, dass er etwas sagte. Er erhob sich und verließ ihr kleines Dreizimmerhaus. Etwas anderes konnte er nicht tun.
Das war im Grunde das Aus für ihre Ehe. Danach redeten sie nicht mehr viel. Keiner schien dem anderen feindselig gesonnen zu sein oder ihm Vorwürfe zu machen. Resnicks Gefühle für Carrie hatten sich nicht wesentlich verändert, seit er sie das erste Mal auf dem Campus gesehen hatte, aber sie hatten sich zu weit voneinander entfernt. Er wusste, dass er dafür verantwortlich war. Aber was immer der Grund war, er ließ sie nicht wieder an sich heran, und nach einer Weile gab sie es auf. Sie ließen sich kurz nach Brians drittem Todestag scheiden. Ein paar Jahre später heiratete Carrie erneut.
Resnick stieg in seinen Wagen und fuhr in die kleine Wohnung, in der er seit der Scheidung lebte. Auf halbem Weg aber überlegte er es sich anders, wendete und fuhr zum Krankenhaus. Dort sprach er mit dem Arzt, der Mr. Wiseman untersucht hatte. Der alte Herr hatte eine Gehirnerschütterung, einen Haarriss an der Stirnseite des Schädels und eine Muskelzerrung am Hals. Sie würden ihn einige Tage auf der Intensivstation behalten.
Resnick betrat Wisemans Zimmer allein. Der Kopf des alten Mannes war bandagiert und er trug eine dicke Halskrause. Er starrte den Detective mit glasigen Augen an, bis er ihn plötzlich erkannte.
»Sie sind der Polizist, der bei uns einkauft«, sagte er langsam, gleichmäßig, seine Stimme ein
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