28 Tage lang (German Edition)
hören, jetzt strengte mich das an.
«Und dein Vater liebte dich auch.»
Jetzt stöhnte ich doch auf.
«Wirklich», bekräftigte Mama.
«Deswegen hat er ja auch Simon bevorzugt», gab ich scharf zurück.
«Liebe ist komplex», erwiderte Mama.
Ich richtete mich auf, saß nun auf meiner durchgelegenen Matratze und lachte spöttisch.
«Jeder Mensch kann schwach sein», erklärte Mama, «gerade in dieser Welt. Du solltest uns nicht verurteilen.»
Ich erwiderte nichts, blickte auf sie herab.
«Sei nicht so hochnäsig», zürnte Mama mit einem Mal und richtete sich ebenfalls auf. «Papa hat alles versucht, alles getan, was er konnte. Mehr Kraft hatte er nicht. Er war nun mal ein gütiger Mann. Nur die harten, selbstsüchtigen Menschen halten mehr aus als er!»
Sie hatte nicht nur Verständnis dafür, dass Papa sich umgebracht hatte, sie hatte es ihm sogar verziehen.
Ich konnte das nicht.
«Ich weiß», sagte sie nun wieder ruhiger, «Liebe kann man nicht erzwingen. Aber wenn jemand dir sagt, dass er dich liebt …»
Wie sie es eben getan hatte und Daniel es sehr oft tat.
«… und du liebst diesen Menschen auch, dann wäre es richtig und anständig, wenn du es demjenigen auch sagst.»
So viel wie heute Nacht hatte sie seit Papas Tod nicht mehr geredet. Mir war natürlich klar, dass es ihren Schmerz lindern würde, wenn ich zu ihr «Ich liebe dich auch» sagen würde.
Aber ich war zu zornig auf Papa. Und auf sie. Warum sollte ich sie plötzlich trösten? Ausgerechnet kurz bevor ich zur Mauer gehen musste. Das war so egoistisch von ihr!
Mit einem Mal lächelte Mama. Traurig. Aber sie lächelte.
«Du kannst es nicht», stellte sie fest und streichelte mir dabei liebevoll über die Wange. Sie legte sich auf ihre Matratze, deckte sich mit ihrer dünnen grauen Wolldecke zu und schloss die Augen.
Jetzt fühlte ich mich wie eine Egoistin.
Dennoch konnte ich nicht «Ich liebe dich» sagen.
14
Natürlich hatte ich kein Auge mehr zubekommen, dafür war ich viel zu wütend gewesen. Auf Mama, auf Hannah, auf Amos und auf seine blöde Freundin. «Kleine» hatte er mich ihr gegenüber genannt, und, was noch schlimmer war, ich hatte mich in ihrer Anwesenheit auch tatsächlich klein gefühlt. Doch auch auf Daniel war ich wütend, der mein Freund war und dem ich dennoch nicht anvertrauen konnte, was ich vorhatte.
Ich fühlte mich so allein.
Am wütendsten aber war ich auf mich selber, dass ich Amos gefolgt war und mich von Zacharia – auf den ich nicht minder wütend war – hatte verletzen lassen und dass ich jetzt bei leichtem Nieselregen durch das nächtliche Ghetto lief, bei Ausgangssperre, was bedeutete, dass ich sofort erschossen würde, wenn ich einer Patrouille begegnete.
Also sollte ich wohl besser keiner begegnen.
Es war ungewohnt, durch leere Straßen zu gehen. Tagsüber hatte man vor lauter Menschen kaum Platz zum Stehen, und mit einem Mal schienen die Straßen im Licht der wenigen Laternen, die noch funktionierten, so groß und so breit, dass es fast unheimlich war.
Ich näherte mich dem Treffpunkt Zimna, Ecke Żelazna. Vorsichtig. Jeder Abschnitt der Mauer – also auch dieser – wurde bewacht. Selbstverständlich wurden die Posten hier, egal ob es sich bei ihnen um Deutsche oder Judenpolizisten handelte, von Aschers Leuten teuer bestochen. Ob es sich bei einem von den Polizisten gar um meinen Bruder handelte? Wohl kaum. Im Mai war Ruth ihm im Britannia-Hotel begegnet, da hatte er ihr erzählt, dass er kein kleines Licht mehr war, das auf Streife gehen musste, sondern in der Abteilung arbeitete, die die Kontakte zur polnischen Polizei pflegte. Ruth war sich allerdings nicht sicher gewesen, ob das auch wirklich stimmte oder ob Simon nicht – wie so mancher Freier – nur hatte angeben wollen. Immerhin war er nicht mit Ruth ins Bett gegangen, sondern mit einer Kollegin von ihr. Und die hatte sich danach vor den anderen Mädchen über Simons mangelnde Liebeskünste lustig gemacht.
Ich machte die Umrisse der Mauer am Ende der Zimna aus. Mein Verstand wusste, dass die Mauer von Menschenhand errichtet worden war, aber in dem schwachen Licht der Ghettolaternen und im leichten Regen erschien sie mir wie eine Naturgewalt. Ein unbezwingbarer Wall, der sich schon gebildet hatte, als die Erde entstanden war, und der auch noch da sein würde, wenn es schon lange keine Menschen mehr gab. Weder Juden noch Deutsche.
Der Stacheldraht, der auf ihr lag, sah aus der Ferne aus wie der Dornenwald in Hannahs
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