295 - Dunkle Wasser
Quart'ol legte den Kopf schief. »Was ist wirklich los?«
Gilam'esh brauchte eine Weile, bis er antwortete. »Ich will nicht darüber reden.«
»E'fah«, klackte Quart'ol sofort. »Es geht wieder einmal um E'fah und dich, habe ich recht? Hat es damit zu tun, wie gut sie sich mit Quesra'nol versteht?«
»Auch über Quesra'nol will nicht reden.«
Quart'ol biss sich auf die Lippen. Gilam'esh war eifersüchtig. Dabei war es nur verständlich, dass sich E'fah und Quesra'nol gut verstanden. Beide hatten unter der geistigen Herrschaft eines Steinwesens namens Mutter gestanden. Sie hatten eine Menge zusammen durchlitten und waren beide Zeugen für das Leid des anderen.
Einerseits sollte Gilam'esh-das verstehen - andererseits hatte er, wie E'fah auch, erst vor kurzem einen neuen Klonkörper erhalten. Quart'ol wusste aus eigener Erfahrung, wie sehr die Hormone eines jugendlichen Körpers auch den ältesten Geistwanderer beeinflussen konnten.
»Ich verstehe«, sagte er schnell, um vom Thema abzulenken. Wenn Gilam'esh nicht darüber reden wollte, musste er das respektieren. »Was willst du wegen der Mar'os-Jünger unternehmen?«
Gilam'eshs Augen funkelten. »Ich gehe den friedlichen Weg. Bis zum Ende.«
»Dieses Ende kann Krieg heißen.«
Sie schwiegen einen Moment. Gilam'esh starrte durch das Wasser, als würde er an einen weit entfernten Ort sehen. »Vielleicht« , murmelte er kraftlos. »Aber noch bin ich nicht bereit, aufzugeben. Vereinigte Hydriten - das ist ein Traum, der zu groß ist, um fallengelassen zu werden, nur weil ein Hindernis auftaucht. Mer'ol würde mir darin sicher zustimmen.«
Quart'ol schwieg. Er hatte Mer'ol bereits gesagt, dass diese Vision kein Traum war, sondern eine Illusion. Mar'osianer und Ei'don-Anhänger waren zu verschieden, um auf Dauer friedlich nebeneinander zu leben. Die Wunden, die auf beiden Seiten in schrecklichen Kriegen innerhalb von Jahrtausenden geschlagen wurden, waren zu tief. Auch lag es in der Natur der Mar'os-Jünger, den Kampf zu suchen. Als Neu-Martok'shimre erbaut wurde, war er selbst noch voller Hoffnung gewesen, doch inzwischen war diese Hoffnung erloschen.
Quart'ol ersparte sich und Gilam'esh einen Kommentar. Der Freund kannte seine Meinung.
Müde und erschöpft kehrte er zu Bel'ar in seine bionetische Wohnkuppel zurück.
***
Quart'ol fand keinen Schlaf und trieb unruhig auf seiner Hummerschale, eine Handbreit über dem weichen bionetischen Material. Selbst die gleichmäßigen Kiemenbewegungen Bel'ars beruhigten ihn nicht. Der Gedanke an Mer'ol ließ ihn nicht los, und er nahm sich vor, persönlich nach Neu-Martok'shimre aufzubrechen, um den ehemaligen Schüler zu suchen.
Immer wieder versuchte er in Gedanken eine Verbindung zu Mer'ol herzustellen. Es hatte eine Zeit gegeben, in der konnte er sogar einfache Gedanken des Vertrauten auffangen. In dieser Nacht gelang ihm das nicht. Mer'ol war nicht zu erreichen. Es wirkte fast, als sei er von einer mentalen Kuppel abgeschirmt.
Noch vor Lichtbeginn verließ Quart'ol seine Muschelschale und ließ Bel'ar allein zurück. Er kreuzte durch Gilam'esh'kar, das neue Pilgerviertel. Viele bionetische Kuppeln und einfache Quartiere waren inzwischen verlassen. Fast ein Drittel aller Pilger hatten es vorgezogen, in ihre Heimat zurückzukehren. Es war, als habe Gilam'esh jeden Einfluss auf sie verloren.
Trotzdem erwachte mit Hykton auch Gilam'esh'kar zum Leben. Junghydriten schwammen auf die Muschelgassen zwischen den steinernen Statuen angesehener Hydriten wie Ei'don und Ber'ran'kar. Pilger in den charakteristischen einfachen Lendenschurzen verließen ihre Behausungen, um im Vorratslager am Rand der Innenstadt Algen und andere Seepflanzen zu besorgen, aus denen sie Salat bereiteten.
Quart'ol ließ das Viertel hinter sich und schwamm zum großen Muscheltor, das hinaus ins offene Meer führte. Zahlreiche Jindra-Algen wogten golden im Schein der Leuchtmikroben, die in Mustern und Verbänden an der Innenseite der großen Kuppel von Hykton angeordnet waren und die gesamte Stadt jetzt zum Lichtbeginn in einen sanften Schimmer tauchten.
Seit wenigen Rotationen zierte Hykton diese Errungenschaft der Technik, die den Ingenieuren und Bionetikmeistern alle Kunst abverlangt hatte: Die Kuppel schützte die Stadt vor Stürmen und Angriffen jeder Art. Das durchsichtige Material erhob sich wie ein Schutzschirm über ihnen. Quart'ol fühlte sich darin so sicher wie ein Neugeborenes in den Armen seiner Mutter.
Er leistete den Wachen am Tor
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