295 - Dunkle Wasser
kurzzeitig auch. Dry'tor wollte mich in das Labor locken. Inzwischen frage ich mich aber, ob das nicht eine Finte war.«
»Eine Finte?«, fragte Gilam'esh und legte den Kopf leicht schief.
»Ja. Dry'tor will verhindern, dass wir das Labor besuchen. Daher hat er uns das Gefühl vermittelt, dort warte eine Falle auf uns.«
»Das wäre um zwei Ecken gedacht.«
»Denkst du, dazu wäre Dry'tor nicht fähig?«, wandte E'fah ein. »Er scheint ganz anders zu sein, als die Chronik behauptet. Er ist kein hirnloser Aggressor, sondern ein intelligenter Feind, der sich vieler Taktiken bedient. Ich sage, wir gehen das Risiko ein und untersuchen dieses Labor.«
Gilam'esh sah auf die Stadt hinab. Dry'tor hatte einen Eindruck bei ihm hinterlassen, den er schwer zu beschreiben vermochte. Einerseits lag über dem mächtigen Hydriten ein Schatten, als würde eine dunkle Gefahr von ihm ausgehen, andererseits wirkte er geläutert. Als ob er tatsächlich nur helfen wollte, dem Mar'os-Kult zu einer neuen, friedlicheren Existenz zu verhelfen.
Er schüttelte den Kopf. Außer Frage stand, dass Dry'tor gefährlich war. Vermutlich steckte er auch hinter dem Anschlag auf Mer'ol.
Quesra'nol verschränkte die Arme vor der Brust. »So wie es aussieht, steht es zwei zu eins. Kommst du mit, oder wartest du lieber auf uns?«
Gilam'esh sah ihn ärgerlich an. Es gefiel ihm nicht, keine Wahl zu haben. »Meinetwegen komme ich mit, aber nur zu meinen Bedingungen. Wir warten mit dem Einsatz, bis es dunkel wird, und wir sichern uns eine Rückzugsmöglichkeit. Denkt daran, was Mer'ol passiert ist. Ich jedenfalls habe keine große Lust, von bionetischem Material überwuchert zu werden.« Er sah E'fah herausfordernd an.
»Einverstanden«, lenkte sie ein.
Sie zogen sich in ihr Quartier zurück, eine einfache Höhle mit Schlafmulden aus gezüchteten Algenmatten, die sich angenehm an den Körper schmiegten. Gilam'esh und Quesra'nol untersuchten die Matten ausgiebig auf bionetisches Material, konnten aber keines feststellen.
Gilam'esh fragte sich, ob er Dry'tor mit dem Angriff auf Mer'ol konfrontieren sollte. Aber was würde das bringen? Der Hydrit würde auf jeden Fall eine Beteiligung leugnen und einen Zucht- oder Baufehler vorschieben.
Vielleicht wäre es sogar besser, die Stadt zu verlassen, doch er kannte E'fahs Sturköpfigkeit nur zu gut. Sie würde nicht nachgeben, bis sie das Labor in Augenschein genommen hatte. Aber gleich danach würde er mit ihr und Quesra'nol verschwinden.
Obwohl er von Anfang an befürchtet hatte, Dry'tor würde ihn anhand seiner mentalen Kräfte erkennen, war er doch überrascht, wie mühelos es dem anderen gelungen war. Noch mehr überraschte ihn, von Dry'tor nicht sofort aus der Stadt geworfen worden zu sein. Was führte der selbst ernannte Herrscher der Meere im Schilde?
Sie hielten es nicht lange in ihrem Quartier aus und streiften bis zum Lichtend durch die kargen Muschelgassen der Stadt. Im Gegensatz zu Hykton gab es kaum freischwimmende Fische, Krebse oder Langusten. Die Tiere schienen die Gefahr zu spüren, die von den Fleischfressern ausging, und das Gebiet weitläufig zu meiden.
Die Mar'os-Jünger mieden das Trio. Ob sie inzwischen alle wussten, wer sie waren? Unwahrscheinlich. Vermutlich wurden alle Neuankömmlinge mit einem gewissen Misstrauen bedacht.
Gilam'esh achtete bei ihren Streifzügen sorgsam darauf, ob sie verfolgt wurden, aber er konnte keine Verfolger ausmachen.
»Es ist so weit. Einer der hinteren Nebeneingänge hat nur einen Posten.« E'fah hielt im kühler werdenden Wasser inne. »Wir sollten ihn mit euren Schockstäben betäuben, seine Rüstung an uns bringen und ins Labor schwimmen.«
Gilam'esh nickte zögernd. Er schwankte zwischen Vorsicht und Neugier. Oder ging es letztlich doch nur darum, E'fah zu beeindrucken? Das passte nicht zu ihm, aber wann war seine Beziehung zu der Hydritin je einfach oder auch nur logisch gewesen?
Als sie sich gemeinsam einen menschlichen Körper teilten - den Seher Yann Haggard -, hatten sie einander besser kennengelernt, als es ihm zuvor möglich schien. Später war er es gewesen, der sie nicht haben wollte. Er war vor ihrer dunklen Seite zurückgeschreckt. Erst als er geglaubt hatte, sie sei tot, war ihm bewusst geworden, wie viel sie ihm bedeutete. Seitdem führten sie eine Beziehung, die nie frei von Spannungen war.
»Träumst du?«, klackte Quesra'nol leise. »Je eher wir die Sache hinter uns bringen, desto schneller können wir verschwinden, und das
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