3. Die Connor Boys: Diese Nacht kennt kein Tabu
Gefühl - zumindest habe ich es gehofft -, wir würden etwas erfahren. Hat es dir wenigstens Spaß gemacht?"
„Mehr als das." Sie bestiegen den Wagen und schnallten sich an. Michaels schwarzer, schnittiger New Yorker sprang mit einem leisen Surren an. Er setzte zurück, und schon fiel das Licht der Scheinwerfer auf die verlassene Straße. „Also... glaubst du jetzt auch, dass Jock hinter diesen Phänomenen steckt?"
„Zu so einem großen alten Haus gehören einfach ein paar Geschichten. Verflixt, die Geschichte von einem liebeswütigen Geist könnte sogar verkaufst ordernd sein."
„Aber du glaubst nicht daran?" Sie lächelte, damit er merkte, dass sie ihn neckte. Doch in Wahrheit war ihr bei den Geschichten des alten Mannes mehr als ein Schauer über den Rücken gelaufen.
„In alten Häusern ächzt und knackt es. Hier und da passiert schon mal was. Dann liegt es noch am Meer, und ein verlassener Leuchtturm gehört dazu. Selbst der nüchternste Mensch ist da versucht, an Geister zu glauben."
Bei dem Unterton in seiner Stimme wurde sie nachdenklich. „Michael... du bist nicht ernsthaft versucht, das zu glauben, oder?"
„Wir sind beide zu vernünftig und sachlich, als dass wir so etwas glauben würden, oder?"
„Ich... em... natürlich." Sie waren sich sehr ähnlich. Deshalb kam sie mit Michael auch so gut aus. Erst in letzter Zeit war ihr aufgefallen, dass diese Gemeinsamkeiten auch gefährlich werden konnten. So wie sie sich zu Michael hingezogen fühlte, hatte es nicht mehr nur etwas mit einer Freundschaft zu tun. Sie bemühte sich zwar, diese Gefühle zu verbergen, fürchtete aber, er würde es bald schon merken, wenn sie nicht auf der Hut war.
Als sie wenig später in die Einfahrt einbogen, meinte Michael: „Ich frage mich jetzt nur, ob Julia und Benjamin zu ihrer Zeit auch von den Geistergeschichten gehört haben."
„Daran musste ich auch denken", gab Simone zu. „Obwohl sie ei nen vermittelnden Geist nicht brauchten. Sie haben allein zueinander gefunden."
„Ja? Du hast mir noch nicht erzählt, wie es weiterging." Er stellte den Motor ab und schaltete das Licht aus. „Haben Sie inzwischen schon miteinander geschlafen?"
Die Frage traf bei ihr auf einen Nerv, aber sie musste nicht sofort antworten, denn beide stiegen sie jetzt aus, und Simone ging automatisch auf ihren Wagen zu. Sie hatten nicht damit gerechnet, dass es so spät würde. Natürlich musste sie noch in ihre Pension hin überfahren. Michael war vor ihr an der Fahrertür und lehnte sich dagegen, als wartete er auf ihre Antwort.
Sie hätte genügend Zeit gehabt, ihm im Restaurant oder auf der Fahrt von den neuesten Entwicklungen zwischen den Liebenden zu berichten. Das hatte sie nicht getan, und irgendwie, so wie Michael sie ansah, wünschte sie sich, sie könnte das Thema noch hundert Jahre meiden. „Ich habe die nächsten beiden Tagebücher gelesen, von 1932 und 1933", sagte sie rasch. „Interessante Sachen sind passiert. King Kong kam heraus. Das Baby der Lindberghs wurde entführt. Das Alkoholverbot wurde aufgehoben, und fast vierzehn Millionen Menschen waren jetzt arbeitslos. James Hilton hatte den brandneuen Bestseller
,Lost Horizont'..."
„Diese Hintergrundgeschichten sind interessant, aber ich möchte etwas anderes wissen", murmelte Michael. „Haben Sie nun miteinander geschlafen oder nicht?"
„Es war Zufall, Michael."
„So?"
„Sie wollten es nicht."
„Nein?"
„Julia kam in den beiden Jahren im Sommer wieder nach Maine zurück. Sie stahl sich weg, um ihn hier in diesem Haus zu treffen, aber all die Zeit, all die Monate, die sie zusammen waren, hatten sie... nichts getan. Sie wollte ihren Mann nicht verlassen, und sie wussten beide, sie hatten keine Aussicht auf eine Zukunft! Damit hatten sie sich abgefunden." Simone holte tief Luft. „Und dann war da die Nacht..."
„Erzähl es mir."
„Michael, sie war so naiv und hat tatsächlich geglaubt, es könnte für immer so bleiben zwischen ihnen. Er war verliebt in sie. Das weiß ich. Und sie hat nur darauf gewartet, mit ihm zusammen zu sein, für die wenigen gemeinsamen Stunden gelebt..."
„Erzähl weiter", bat er leise.
„Sie haben beide gern getanzt, wie ich schon sagte. Und manchmal, abends, sind sie nach draußen auf die Veranda gegangen, um dort zu tanzen." Ohne es zu wollen, schaute sie zur Veranda hinüber. „Er hat dann ein Grammophon aufgestellt. Und an einem Abend dann, bei zunehmendem Mond und Nebelschleiern am Strand..."
„So wie heute Abend?"
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