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in meiner Wohnung im Bett. Abends hab ich auf meiner Zelle nur noch versucht, so schnell wie möglich einzuschlafen, damit Zeit vergeht. Als ich heute Morgen um halb sechs bei klirrender Kälte – wir haben März – in die Metzgerei gestapft bin, hab ich extra noch ’n Schlenker zur Telefonzelle gemacht und meiner Süßen eine SMS geschrieben, dass ich mich wahnsinnig auf sie freue und dass sie bloß vorsichtig fahren soll. Sie kommt ja mit dem Auto, die kleine Maus. Danach bin ich zur Arbeit gegangen und war um halb elf fertig. Seitdem sitze ich auf der Zelle, bin brutal am Ketterauchen und denke nur: So jetzt, Uhr, lauf! Lauf!
Zufälligerweise will heute auch noch mein Anwalt kommen. Es gibt nicht groß was zu klären, die Gerichtssachen sind eigentlich alle durch, er will eher mal nach mir sehen, was ich nett finde. Speziell daran freut mich jetzt aber, dass die Zeit durch das Hinrennen, Labern und wieder Zurückrennen noch schneller vergehen wird. Als ich höre, dass ich auf die Zentrale gerufen werde, mach ich einfach los. Für die paar Meter über den Hof, denke ich, zieh ich mir noch nicht mal ’ne Jacke über.
Das Gebäude mit der Zentrale liegt absolut zentral in der Anstalt, eben wie so eine original Sternenzerstörer-Brücke, in die sich die Beamten verschanzen, wenn draußen die Revolution ausbricht. Ich geh dahin mit Ausweis und Schlüssel, wie sich das gehört, nehm die Metalltreppe, die Beamten sehen mich drinnen sofort durch die Kamera, drücken mir die Tür auf, und ich melde mich an der Scheibe.
»108, ich wurde gerufen.«
Da kommt ein Beamter, den ich sehr gut kenne und den ich eigentlich auch mag, nach vorn zur Scheibe und spricht ganz ruhig ins Mikro.
»Herr Stein, schlechte Neuigkeiten. Für Sie geht es jetzt erst mal in den Bunker.«
Ich bin etwas irritiert. Der Bunker ist die Arrestzelle. Die Zelle, in die du kommst, wenn du was gemacht hast und sie noch nicht entschieden haben, was als Nächstes mit dir passieren soll. Es gibt drei Zellen, Nummer 11, Nummer 12, Nummer 13, aber weil 13 nun mal ’ne Unglückszahl ist, nennen alle Gefangenen den Bunker nur die 13, und die Beamten haben das übernommen.
Da sagt er’s noch mal: »Für Sie geht es jetzt in die 13.«
Ich denke, er will mich verarschen. Ich denke, der weiß, dass ich Ausgang habe und dass meine Süße zu mir unterwegs ist, und jetzt haut er mir so auf witzig ’n Spruch rein. Aber normalerweise machen selbst die Beamten keine Scherze über den Bunker.
Also sag ich: »Ja, ja, schon klar.«
Aber er: »Kein Spaß, Herr Stein. Kommen Sie bitte mit!«
Ich stehe da in diesem Vorraum und mir entgleisen die Gesichtszüge. Ich starre in die Zentrale. Der Beamte steht hinter der kugelsicheren Scheibe und noch mal drei, vier Beamte dahinter, sie glotzen mich alle an. Es ist, als ob sich in mir ein Loch auftut, durch das ich selbst hineinstürze. So ist das also: mein Abschuss. Und ich bin live dabei. Das muss ein Fehler sein. Das muss ein riesiger Fehler sein, hier ist irgendeine Scheiße gelaufen, ich hab doch überhaupt nichts gemacht. Aber stattdessen sage ich: »Okay, alles klar, ich komme mit.«
Der Beamte macht mir die Stahltür auf und führt mich in den Gang mit den Bunkerzellen. Zelle, Zelle, Zelle aneinander. Vor einer bleiben wir stehen. Er holt seinen großen Schlüsselbund raus, den er immer in einer Ledertasche versteckt bei sich trägt, damit die Gefangenen sich nicht die Schlüsselköpfe angucken und einprägen können, um sie später nachzubauen.
Ich sehe in eine Zelle, die überhaupt nichts mehr mit der Zelle zu tun hat, die ich kenne. Sie erinnert mich eher an die Ausnüchterungszelle, mit der ich schon mal Bekanntschaft gemacht habe. Tisch, Stuhl, Bett, Toilette, alles aus Edelstahl, alles komplett verschraubt. Es gibt in diesem Raum nichts, was du in irgendeiner Art und Weise abschrauben, bewegen, verschieben kannst, gar nichts. Die Wände sind aus Beton, und in den gegenüberliegenden Ecken gibt es zwei Überwachungskameras.
Gleich darauf stehe ich in der Zelle drin, und meine Stimme hallt so komisch, als ich zu dem Beamten sage: »Entschuldigen Sie, können Sie mir ungefähr sagen, was los ist?«
»Jetzt sind Sie erst mal hier, alles andere klären wir später.«
»Ich hab überhaupt keine Ahnung, was ich hier mache.«
»Bewahren Sie bitte Ruhe.«
Der Beamte sperrt hinter sich die Tür zu, und ich sitze allein im Inneren eines riesigen Tresors. Ich spüre förmlich, wie sich vor Stress die Adern in
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