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dass jegliches Klischee von einem Friseursalon bei Weitem übertroffen wird. Die meisten Typen beschäftigen sich ausschließlich damit, warum sie sitzen, obwohl sie doch unschuldig sind, und aus welchem Grund es irgendjemandem besser geht als ihnen. Ständig wird verglichen, ständig gemutmaßt: Wer hat wen verraten? Wer schleimt sich wo ein? Wieso geht der schon wieder zur Zentrale? Warum hat der Beamte dem jetzt auf den Rücken geklopft? So geht das die ganze Zeit. Wo der Dragan auch hinkommt, hört er das.
Darum kommt er mir auch belehrend: »Jetzt erzählt doch jedes Schwein, dass der Stein seine Alte auf dem Klo gepimpert hat. Das dauert fünf Minuten, dann wissen es die Beamten.«
Aber ich sage trotzdem: »Na und?«
»Für so was können die dich abschießen, Alter, dafür gehst du in den Bunker und dann ab in die Geschlossene. Ich dachte, du versuchst hier so schnell wie möglich rauszukommen. Was ist denn nur in deinem Kopf kaputt?«
Ich hör ihn zwar reden, aber ich denk die ganze Zeit nur, dass das eben einfach mal wieder ’ne typische Oli-Rebellen-Aktion war, aber so was von auf den Punkt, gerade weil es der erste Besuch war. Ich hab es echt riskiert, Alter, gleich beim ersten Mal.
Am Abend stehe ich in der Telefonzelle und will bei meiner Süßen eigentlich gleich noch mal an die gewagten Ereignisse des Tages anknüpfen, da ist ihr in der Zwischenzeit aber schon die nächste krasse Geschichte passiert. Ihre Stimme ist noch ganz piepsig. Sie ist total aufgeregt.
Also Folgendes: Als sie nach ihrem Besuch vorne aus der Schleuse auf die Straße kommt, warten da schon vier Kamerateams auf sie. Meine Süße bettelt, sie sollen sie in Ruhe lassen, und will nur schnell zum Auto, aber die machen richtig Terror. Da hat sie keine Chance. Auf einmal taucht hinter ihr ein riesiger schwarzer Schatten auf, sie fiepst das so in den Hörer, ein riesiger schwarzer Schatten, und nimmt sie zur Seite. Mit dem einen Arm packt er meine Süße und zieht sie hinter sich, mit der anderen Hand greift er sich eine Kamera vorn am Objektiv und meint, ob die Presseleute sich nicht schämen, ein weinendes Mädchen zu filmen und überhaupt, in was für einem heruntergekommenen Land er leben würde. Der Zurechtgewiesene setzt die Kamera ab, aber die anderen filmen fröhlich weiter. Da wird der Schatten richtig böse und sagt, wenn ich da irgendwo drauf bin, dann gibt es Tote, dann ist hier gleich alles vorbei.
»›Das ist mein Knast‹, hat der geschrien«, sagt die Süße.
Und ich: »Was für ein Schatten denn?«
»So ein riesiger Türke mit Anzug, in so ’nem superteuren Kaschmir-Mantel.«
Da muss ich lachen, ich kann nicht mehr aufhören. Wie sie das erzählt, mit ihrer Mickey-Mouse-Stimme, es ist so geil.
»Das ist der krasseste Mensch, den ich je gesehen hab.«
»Ja«, sag ich, »das war der Ufuk.«
Und sie: »Was kennst du denn für Leute?«
Ich sag ihr, du, das sind halt alles Leute, mit denen ich viel Zeit verbringe. Wenn so jemand dein Freund ist oder der mit dir gut kann oder dich mag, dann hast du hier drinnen einen super Begleiter. Wenn’s andersrum ist, kannst du einfach nur noch sofort Leine ziehen.
»Der war so süß«, sagt sie jetzt, »wie ein Gentleman.«
Und dann lass ich mir die Geschichte von ihr nochmal und noch mal erzählen. Es ist mein schönster Tag im Knast bisher.
6
Eine Woche später soll ich zum ersten Mal Ausgang haben. Ich bin so aufgeregt, als würde ich gleich entlassen werden. Es sind zwar erst mal nur sechs Stunden Freiheit, aber dadurch, dass hier alles so brutal eng mit Regeln gestrickt ist und die von den Beamten auch absolut hart umgesetzt werden, baut auf diesem Ausgang alles auf. Wenn ich keinen Fehler mache, dann müssen die in ihr Vollzugsblatt reinschreiben: Hat Ausgang gehabt, kam ordnungsgemäß wieder. So einen Eintrag dürfen sie auch nicht mehr löschen, den können sie dir nicht mehr nehmen. Dann kannst du wieder ein Anliegen schreiben und kannst sagen, jetzt will ich noch einen Ausgang haben, und wenn das auch klappt, dann wirst du irgendwann Freigänger und kannst zwölf Stunden am Tag raus, das ist dann nur noch halber Knast, und all das soll schon innerhalb der nächsten vier Wochen passieren. Hier kommt also richtig was ins Rollen, das macht mich so glücklich. Ab jetzt gibt es immer mehr Freiheit.
In den letzten Telefonaten mit meiner Süßen haben wir nur noch die Tage gezählt, wir waren nicht mehr im Jetzt, in unserer Vorstellung lagen wir im Grunde schon
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