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schließt die Tür und teilt mir sein Ermittlungsergebnis mit.
Er sagt: »Das geht natürlich gar nicht.«
Ich so: »Ach komm.«
Aber er: »Oli, das kannst du auf keinen Fall ignorieren.«
Andi meint, er wisse, wer das ist. Das sei dieser Marok aus Atzleben, den er total hasst. Der habe Kollegen von ihm verzinkt wegen verschiedener Aktivitäten, darum musste der überhaupt hierherverlegt werden, um den zu schützen. Das seien typische Deals, die sich die Verräter ausverhandeln, und so einer sei der Marok, ein Chivato, wie die Verräter im Knast genannt werden.
Für mich persönlich ist zwar nicht nachvollziehbar, wie Andi wissen will, wer das im Endeffekt war. Aber der Andi ist am Ausrasten, ich kann richtig sehen, wie seine Halsschlagader pumpt. Er meint, er findet jetzt sofort raus, in welcher Zelle der Marok sitzt, und dann geht er hoch und wird das regeln.
Ich sag: »Jetzt scheiß doch drauf.«
Aber er: »Dann lass uns bis zur Freistunde warten.«
Ich denk mir, alter Schwede, zur Freistunde. Wenn der Andi jetzt am Start ist, dann wird natürlich auch der Abu am Start sein, wenn wir da so als Dreier-Mob rausgehen und den Typen mit ’n paar Fragen konfrontieren, dann scheppert’s schon mal ordentlich. Das ist mir viel zu viel Aufregung, das nützt mir auch nichts, wenn sich da die Atzlebener untereinander wichtigmachen und ich währenddessen blöd in der Gegend rumstehe. Da kommt nur Mist raus, am Ende hab ich nur noch Terror.
Ich wiegel also ab: »Nee, Andi, das muss ich selber machen, das kommt uncool, wenn du das regelst. Ich gehe da jetzt rauf.«
Er sofort: »Das kannst du nicht machen. Du kannst nicht auf ’ne andere Station gehen und den Typen da stellen.«
Und ich so ohne nachzudenken: »Klar kann ich das, ich bin doch heute Hausarbeiter, da darf ich ja wohl dort hochgehen.«
Der Andi noch: »Hey Alter, die schützen sich doch untereinander, wenn du einen von denen angreifen willst. Wenn die dich da oben zusammenwichsen, kann dir kein Schwein helfen.«
Aber ich: »Ich muss das selber hinkriegen. Ich frag ja auch nicht jemand anders, ob er meine Freundin für mich ficken kann.«
Das sieht der Andi ein und nickt.
Er verschwindet für einen Moment, um mir die Zellennummer dieses Marok-Vogels zu besorgen, und währenddessen sitz ich am Tisch und überleg, wie das nun wieder gekommen ist. Eine Woche zuvor sag ich nur, ich würd mich gern in Ruhe auf den Besuch meiner Freundin vorbereiten, statt Klos zu putzen, und jetzt muss ich allein auf eine fremde Station gehen, um mich da zu boxen. Ich mach einmal einen kleinen Fehler, und schon rollt die Scheiße den Berg runter wie ein riesiger Schneeball. Das ist ’ne Situation, die kenne ich total gut aus meinem Leben davor.
»Er sitzt auf Nummer 211«, sagt Andi, als er zurückkommt.
Ich sag: »Alles klar.«
Aber ich denke, oh Gott, oh Gott, jetzt tritt das ein, wovor du die ganze Zeit Angst hattest. Jetzt musst du aufpassen, dass du nicht gefickt wirst. Die Beamten ficken dich schon mit dem Job, jetzt fickt dich die Station wegen des Jobs. Das nimmt ’ne völlige Eigendynamik an. Das ist genau die klassische Nummer, bei der dich der Richter am Ende fragt: Warum haben Sie das getan?
Trotzdem muss ich gehen. Ich bin ganz neu hier, und der Typ da oben provoziert und beleidigt mich ganz öffentlich, und zwar so laut, dass es jeder gehört hat. Wenn ich nichts unternehme, springen noch andere Leute auf den Zug auf, die sich sonst so was gar nicht trauen würden, und dann hast du auf einmal deinen Spitznamen weg, dann hast du ihn nämlich wirklich weg. Da muss ich einfach was antworten, das er versteht und alle anderen auch.
»Okay«, sag ich zu Andi.
»Okay«, sagt er.
Draußen hatten körperliche Auseinandersetzungen für mich immer was wahnsinnig Spannendes. Meistens bin ich irgendwo reingelaufen, ’ne Kneipe, ’n Club, Menschen auf der Straße. Ich war jetzt nie so am Scannen, mit wem ich mich heute Abend anlegen kann, aber ich fand es immer ’ne super Geschichte, wenn einer Streit suchte. Ich hätte solche Situationen vermeiden können, ich wollte sie aber nicht vermeiden. Ich sehe, irgendjemand will irgendwas und versucht, das mit ’nem bösen Blick umzusetzen. In dem Moment steig ich ein. Ich guck erst mal nur, wer wen länger böse ankucken kann. Das ist so intensiv wie Sex. Du hast ja keine Ahnung, wen du vor dir hast. Es kann sein, dass es der örtliche Kickboxmeister ist und du keine zwei Sekunden mehr stehst. Du weißt nicht, wer
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