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313

313

Titel: 313 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Tewaag
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und gefährlicher Körperverletzung. Außerdem haben Sie ein schwebendes Verfahren wegen Körperverletzung. Und das, was wir jetzt vorliegen haben, ist auch eine Körperverletzung.«
    Und ich wieder: »Kann ich jetzt …«
    Aber der Karl lässt mich nicht. Ich hab das Gefühl, der will nur immer weiterreden, damit ich nie was sagen kann.
    »Ich kenne Sie jetzt seit gut vier Wochen. Sie machen mir einen sehr sympathischen, sehr normalen Eindruck. So wie Sie mir rüberkommen, sind Sie eher ein gefallener Anständiger. Mir ist auch zu Ohren gekommen, dass es einen Grund dafür gab, dass Sie da hochgegangen sind. Offenbar hatte der Gefangene Sie tatsächlich beleidigt. Das ist natürlich nicht schön, das darf nicht sein. Aber ich möchte Ihnen sagen, wenn Sie so etwas hier drin nicht anders geregelt bekommen, kann ich Ihnen nicht sagen, wo Ihre Reise endet beziehungsweise, wann sie endet.«
    Und ich wieder: »Darf ich jetzt endlich mal reden?«
    Und er diesmal: »Ja, jetzt dürfen Sie.«
    Daraufhin erzähle ich ihm, wie sich die ganze Geschichte für mich darstellt und warum ich nicht anders handeln konnte, als ich’s gemacht hab. Ich bin zwar aufgeregt in der Stimme, aber in der Aussage total klar.
    Ich sag: »Herr Karl, ich verstehe, was Sie meinen, aber ganz ehrlich, dass das jetzt ein Ausrutscher war, dass ich da hochgegangen bin, oder dass mir das leid tut, das kann ich nicht sagen.«
    »Das hab ich mir gedacht«, sagt er.
    Komischerweise ist er nicht sauer. Er lehnt sich zurück, dreht sich mit seinem Drehstuhl so ein Stück zu Seite, dass er das Regal anschauen kann und das Foto mit dem Segelboot. Auf einmal klingt seine Stimme wieder so väterlich, wie ich sie kenne.
    Er so: »Ich habe über Ihre Situation nachgedacht.«
    Der Karl ist Beamter, das heißt, dass er verschiedene Sachen eigentlich gar nicht sagen darf oder aber wenigstens anders ausdrücken muss, aber zusammengefasst, sagt er mir Folgendes.
    So, wie ich die Sache geregelt habe, handhaben das auch andere Gefangene. Im Knastslang heißt das »sich gerade machen«, und da passieren oft auch schlimmere Sachen, als dass einer gegen’s Bett fliegt. Nur sind diese Gefangenen eben nicht in meiner Situation. Wenn Gefangener X und Y sich in der Dusche aufs Maul hauen, interessiert das keinen. Wenn ich hier irgendwelche Fehler mache, wird nicht weggeschaut, von den Gefangenen sowieso nicht und von den Beamten erst recht nicht. Als Mann kann der Karl meine Reaktion verstehen, aber als Hausleiter kann er das nicht akzeptieren. Wenn ich also nicht im Krankenwagen hier rausfahren oder in Atzleben landen will, soll ich mir irgendeine Methode überlegen, mit der ich hier klarkomme.
    Das freut mich, dass sich der Karl für mich Gedanken gemacht hat, aber die lösen meine Probleme auch nicht.
    Ich also zu ihm: »Dann sagen Sie mir, was ich in dieser Situation hätte machen sollen.«
    Und er allen Ernstes: »Sie gehen zur Zentrale und sagen, dass ein Mitgefangener Sie bedroht oder beleidigt hat.«
    Da sag ich: »Wissen Sie, Herr Karl, das ist einfach nicht meine Attitüde. Das hab ich auch draußen nie gemacht. Ich hab nie einen angezeigt, mit dem ich Streit hatte. Ich renn auch nicht zur Polizei, wenn mein Nachbar Party feiert. Entweder ich kann das selber regeln, oder ich fang gar nicht erst an.«
    Und er wieder: »Herr Stein, ich will, dass Sie hier irgendwann normal rausgehen. Den Eindruck machen Sie mir nämlich.«
    »Aber Herr Karl, wenn ich zu den Beamten gehe und wegen mir dann jemand länger sitzt, bin ich nicht nur ein Opfer, dann bin ich das Opfer, das auch noch ein Verräter ist. Das geht nicht.«
    Da legt mir der Karl auf einmal diesen Satz hin, der die ganze Diskussion beendet, eben weil er die totale Wahrheit ist.
    Er sagt: »Aber Herr Stein, Sie sind kein Verbrecher. Sie ziehen sich hier einen Kodex an, der gar nicht Ihrer ist.«
    Ich sitze so da und lasse das in mir nachhallen, auch der Karl sitzt so da. Wir schweigen, und das ist ein ganz intimer Moment, dieses Schwiegen. Er ist der erste Beamte, der sich mal in mich hineinversetzt hat, und er hat gleich mehr von mir kapiert als alle Therapeuten da draußen zusammen. Ich bin gerührt und verwirrt.
    Am Ende verspricht mir der Karl, er werde versuchen, den anderen Gefangenen zu überzeugen, dass er die Anzeige zurückzieht. Was ihn angeht, müsse daraus kein offizieller Fall werden.
    »Das wär dann alles«, sagt Herr Karl.

12
    Es ist fünf Uhr morgens. Der Knast schläft noch, aber ich stehe in der

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