313
Küche und mach Tee für zweihundert Leute. Der Andi hilft mir. Wir nehmen einen von den schweren Bottichen, wuchten ihn unter den riesigen Edelstahlboiler und lassen ihn mit brühend heißem Wasser volllaufen. Ich werfe einen Teebeutel rein, groß wie eine Tüte Mehl. Das machen wir viermal, vier Kanister für vier Stationen, und danach das Ganze noch mal – vier Kanister, vier Stationen – mit Muckefuck. Das ist so eine Art Kaffee, aber ohne Koffein, auch ohne Filter. Er wird als Pulver in großen Beuteln geliefert und es staubt unglaublich, wenn man den ins Wasser schüttet. Die Brühe schmeckt absolut ekelhaft, darum trinken ihn auch nur Geldstrafen. Dann packen der Andi und ich die Bottiche auf unseren Bollerwagen und schieben ab zur Zentrale, in der noch der Herr Hopp von der Nachtschicht sitzt. Er ist etwa so alt wie wir, auch trainiert, auch tätowiert, fährt auch Motorrad, mit dem könntest du auch locker abquatschen, was grade so auf Facebook los ist, das heißt, wenn wir Gefangene auf Facebook gehen könnten. Aber anstatt uns jetzt die Tür zur Station aufzumachen, ist er über seine Zeitung gebeugt. Das setzt schon mal den ersten Spruch des Tages.
Ich so genervt: »Hallo Herr Hopp, der Muckefuck wird kalt.«
Und er ganz freundlich: »Kommen Sie wieder, um die Gefangenen zu vergiften, Herr Stein?«
Und ich empört: »Also, wie Sie reden, Herr Hopp, da wird’s wohl doch langsam Zeit für ’ne Beschwerde.«
Und er lächelnd: »Vorsicht, Herr Stein. Sonst hol ich meine Handschellen und schließe Sie an den Bollerwagen da an.«
Es hat sich hier in der letzten Zeit einiges getan.
Es fing damit an, dass ich vor zwei Monaten tatsächlich Essenausgeber wurde. Am Anfang mit so ’nem Typ von der 2. Station zusammen. Es hat mich gewundert, dass sie das jemanden von der 2. Station machen lassen, weil dort normalerweise nur Junkies einsitzen. Die ganze Station ist wahnsinnig abgefuckt und verdreckt, überall riecht’s nach selbst angesetztem Alkohol, solchen Leuten gibt man eher keinen freien Zugang zum Essen. Der Typ war so’n kleiner Dieb, der schon mehrmals gesessen hatte, an sich total fertig und auch sonst nicht besonders spannend. Obwohl ich neu eingestiegen bin und er damit so was wie mein Vorarbeiter war, hab ich mich von dem überhaupt nicht hetzen oder treiben lassen, im Gegenteil. Nachdem ich mir die Abläufe angeguckt hatte, hab ich schnell das Kommando übernommen. Ich hab ihm gesagt, ich hätte keinen Bock, morgens zu ihm zu kommen. Ich würde gern mal verschlafen, er solle doch besser zu mir kommen und, wenn ich noch nicht da bin, bitte klopfen und mich wecken. Von da an hat er dann auch immer den Wagen gezogen, und ich ging vorneweg.
Als Essenausgeber haben sich für mich auf einen Schlag zwei Sachen verändert. Die eine: Ich konnte mich ab sofort im Haus völlig frei bewegen. Ich musste nur zur Zentrale sagen, ich gehe noch mal auf die 1. Station und schau, ob die noch genug Tee haben, schon drücken die mir die Tür auf. Das ist richtig abgefahren, weil es für dich im Haus dadurch fast keinen Bereich mehr gibt, in dem du keinen Grund hättest, nicht zu sein. Für einige Türen, zum Beispiel die zur Küche, kriegst du sogar Schlüssel.
Die andere Veränderung ist im Grunde noch viel krasser. Als Essenausgeber bekommst du von der Kammer eine komplett andere Garderobe, was der absolute Wahnsinn ist. Du kriegst weiße Hosen, weiße T-Shirts, weiße Socken und ein weißes Barrett. Die Sachen kannst du super mit anderen kombinieren und dadurch mit einem ganz coolen Style auftreten. Ich hab nach der Arbeit nur die Hosen gewechselt, weil mir diese grauen, weit geschnittenen Dinger, die alle tragen, besser gefallen, sie sehen irgendwie skateboardermäßig aus. Aber wenn ich zum Hofgang raus bin, hatte ich ab sofort nicht mehr dieses verwaschene weinrote Oberteil an wie alle, sondern ein enges, weißes T-Shirt, das immer absolut neu und frisch war, weil ich sonst gleich auf die Kammer gegangen wäre und gesagt hätte: Leute, ich kann so nicht Essen ausgeben, da ist ein Loch drin. Da kannst du richtig das Rumficken anfangen, von wegen Hygiene und so, das ist großartig. Mit einem Schlag hab ich ganz anders ausgesehen als die anderen. Das fällt natürlich auf.
Der Andi nur noch so: »Eh, voll der Mexikaner, Alter!«
Und ich: »Wenn ich erst die Hosenbeine kürze, Dicker, dann kommt das noch mal ganz anders.«
Wenn ich mir überlege, wie ich noch ein paar Wochen vorher drauf war, als ich
Weitere Kostenlose Bücher