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313

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Titel: 313 Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Tewaag
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kurz vor Ende seiner Nachtschicht.
    Ich hau ihn also gleich an: »Haben Sie sich inzwischen noch mal das Chamäleon angeschaut?«
    Und er sofort: »Hab ich gestern noch.«
    Und ich: »Ist doch krass, oder?«
    Dazu macht der Andi wieder diese Geräusche wie ein altes Modem, das versucht, sich ins Internet einzuwählen, ich schüttle den Kopf, als wär was nicht in Ordnung da oben, und der Hopp ist schon wieder kurz vorm Totlachen.
    Das Chamäleon ist ein Neuzugang auf der 2. Station, den wir gestern beim Frühstück zum ersten Mal gesehen haben, dünn und runtergekommen, wie der war, musste es ’n Junkie sein. Er stand vor uns, aber wir waren uns nicht sicher, ob er uns überhaupt sehen konnte, weil sein linkes Auge ganz nach links und sein rechtes Auge ganz nach rechts schaute, und zwar gleichzeitig.
    Der Andi zu mir: »Eh, guck dir das an!«
    Und ich: »Was haben sie denn hier eingesperrt?«
    Und er: »Ein verficktes Kaninchen.«
    Doch der Typ zeigt null Reaktion. Als könnte der uns nicht nur nicht sehen, sondern auch nicht hören. Es hört uns nur der Hopp, der neben uns steht und die Essenausgabe überwacht, und er muss schon grinsen, als ich noch einen drauflege.
    Ich sag: »Jetzt weiß ich’s: ein Chamäleon! Die haben ein Chamäleon zu uns gesperrt!«
    Aber den Andi, der ein sehr großer Star-Wars-Fan ist, erinnert er eher an diesen kleinen Roboter, der Geräusche macht wie ein Modem. »R2D2 featuring Chamäleon«, sagt der Andi.
    Und ich: »Na, Chamäleon, haste Hunger?«
    Der Typ sagt immer noch nichts, und der Hopp lacht in seine Armbeuge, während wir dem Chamäleon ordentlich Wurst auf den Teller legen. Ist schließlich sein erster Tag, denken wir noch. Aber als wir am Nachmittag noch mal auf die 2. Station gehen, um dort die Küche zusammenzuräumen, sehen wir das Chamäleon, wie es auf einmal vollkommen normal gradeaus guckt.
    Ich sag gleich zum Andi: »Was ist denn mit dem Chamäleon passiert? Hat’s eins auf den Deckel gekriegt?«
    Und er: »Vielleicht haben sie ihm die Augen neu justiert.«
    Wir also zu ihm hin, um uns zu erkundigen, was aus dem irren Rechts-Links-Blick geworden ist, da stellt sich raus, dass das Chamäleon nicht nur gucken, sondern auch sprechen kann.
    Es sagt: »Ich bin doch jetzt im Methadon-Programm, das ist alles ganz cool hier. Ich bin zwar drauf, aber wir können reden.«
    Der Hopp ist gestern extra noch mal hoch, um sich den Typen anzusehen. Er wollte zuerst nicht glauben, dass in dem Chamäleon ein stinknormaler Gefangener drinsteckt, sobald man ihn mit Metha aufgefüllt hat. Den ganzen Weg über den Hof reden wir von der wundersamen Heilung des Chamäleons, und am Ende fragen wir uns alle, wohin der Typ gleich schauen wird, wenn wir ihm sein Frühstück bringen. Unter all den Piloten, die sich jeden Nachmittag zitternd und vollkommen verballert vor der Zentrale um Flugbenzin anstellen, wie Methadon in der Knastsprache heißt, ist das Chamäleon mit Abstand der verpeilteste.
    Und da sind wir auch schon an der Metzgerei, wo Ufuk, der Riesentürke, schon auf uns wartet. Er arbeitet immer noch hier, steht jeden Morgen an der Vakuummaschine und macht keinen Handschlag.
    Ich nick ihm zu: »Ufuk.«
    Und er: »Oli.«
    Dann folge ich ihm nach drinnen, als wäre ich vom Geschlossenen mal eben rübergekommen. Herr Hopp macht sich eine Zigarette an, und Andi, der ahnt, dass er jetzt nicht stören soll, schiebt langsam den Bollerwagen rein, um das Frühstück aufzuladen. Bisher kennt er vom Regelvollzug nicht mehr als diesen Weg zur Metzgerei, also schaut er sich erst mal die Abläufe an, während ich es nur noch mit alten Bekannten zu tun habe.
    Als ich zum ersten Mal als neuer Essenausgeber herkam, war das für mich fast wie Heimkommen. Die ganze Belegschaft stand am Tor wie beim Staatsempfang und Herr Wetzel, der Chefmetzger, kam mir entgegen und begrüßte mich mit ’nem Handschlag.
    Er fast schon stolz: »Das ist der Mann, dem ich das Wurstmachen beigebracht habe!«
    Und der eine Casino-Betrüger: »Servus! Bist du wieder da?«
    Und der andere: »Haben sie dich abgeschossen?«
    Ufuk nickt mir nur zu: »Oli.«
    Als Nächstes hat mich der Wetzel dann mit ins Lager genommen und mir ’n paar Steaks zugesteckt, die ich zwischen den Behältern für das Frühstück versteckt und mit nach drüben genommen habe. Er hätte sich die mit seinen Leuten gegrillt, stattdessen haben sie Andi, Abu und ich in der Küche gebraten. So was darf natürlich niemals rauskommen, aber darüber würdest

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