314 - Exodus
in Richtung seines Quartiers. Nie zuvor hatte er sich so müde und ausgelaugt gefühlt.
***
Eisschlote auf der blitzenden weißen Fläche unter ihm wiesen auf Vulkane hin. Sie hatten die Kältezone erreicht. Rulfan steuerte das Luftschiff bereits seit drei Stunden von Iznir fort. Er betrachtete Aruula dabei unablässig aus den Augenwinkeln mit einer Mischung aus Fassungslosigkeit und Misstrauen.
Die Kriegerin neben ihm sah Schrecken erregend aus. Obwohl sie sich mit Schnee abgerieben hatte und frische Kleidung trug, lagen noch immer Reste von getrocknetem Blut auf ihrem Gesicht. Sie rührte sich nicht, antwortete auf keine seiner Fragen. Ihr ganzes Verhalten wirkte irre. Aber das war nicht das Schlimmste. Rulfan schauderte, als er versuchte, seine Gefühle in Gedanken zu fassen.
Aruula wirkte anders als sonst. Böse. Als ob eine unsichtbare Aureole aus dunkler Energie sie umgeben würde. Wenn der Flugwind ihre Haare oder Kleidung bewegte, glaubte er sogar, dass ihre Umrisse leicht flimmerten, wie es die Luft über einer Flammen tat.
Unsinn , sagte er sich mit zusammengepressten Zähnen. Ich fange an, durchzudrehen. Erst die heiße Sonne Afras, dann der Gewaltflug vom Kontinent zum Pol und dann das Massaker beim Landeplatz – ich bin einfach ausgelaugt.
Er ließ Aruula nicht aus den Augen. Eine innere Warnglocke schrillte in ihm, ein Erbe seiner barbarischen Mutter. Seine Instinkte warnten ihn hartnäckig. Aruula blieb unberechenbar. Was immer sie geritten hatte, derart durchzudrehen und ohne Rücksicht auf sein und ihr Leben ein Blutbad anzurichten – es war noch nicht vorbei. Der düstere Blick aus den sonst so klaren Augen verhieß nichts Gutes. Rulfan rechnete jeden Augenblick mit einem Angriff, er ging im Geist Abwehrhaltungen in sitzender Position durch. Seine Laserpistole lag für Aruula unerreichbar, doch für ihn leicht zu greifen auf ihrer abgewandten Seite.
Es war verrückt. Seine Gefährtin hatte sich von einem Augenblick zum anderen in einen Feind verwandelt. Ihre derzeit ruhige, erstarrte Sitzhaltung täuschte ihn darüber nicht hinweg.
Es muss am Streiter liegen. Erzählte sie nicht, dass Frauen der Dreizehn Inseln zu ihm Kontakt aufgenommen hätten? Vielleicht ist der Streiter schon so nah, dass sie es fühlt.
Einen Moment wandte er seine Aufmerksamkeit ganz dem Himmel zu. Wolken zogen auf. Das sonst so klare Blau wirkte milchig und irgendwie... falsch. Als ob der Streiter eine Art Furcht einflößende Strahlung über die ganze Erde jagen würde, bis hier ans Ende der Welt. Dazu kamen die ersten Anzeichen eines Sturms. Es sah ganz so aus, als ob sich etwas zusammenbraute.
Rulfan kannte sich in der Wetterkunde gut genug aus, um einen herannahenden Sturm schon in seiner Entstehung zu erkennen. Die aufziehenden Wolken schoben sich wie dunkle Drachenköpfe mit langen Hälsen über die Eisfläche vor ihm. Vielleicht verdichteten sie sich zu einem Unwetter, das tagelang anhielt. Bald schon würden sie Schnee und Eis speien.
Unter normalen Umständen hätte er einen sicheren Landeplatz samt Unterschlupf gesucht. So aber versuchte er, noch mehr Geschwindigkeit aus dem Luftschiff herauszuholen, auch wenn eine der Gasflaschen beim Kampf explodiert und eine weitere am Verschluss beschädigt war. Den Rückweg konnten sie damit nicht mehr schaffen. Doch darüber würde er später nachdenken. Er musste zu Matt, zu Grao und den anderen, die dort vermutlich noch waren, und hoffen, dass weder das Wetter noch Aruula ihm auf den letzten Kilometern in die Quere kamen.
***
Du erwachst in der Dunkelheit. Deine Augen sind gut, Augen des Waldes. Obwohl nur spärliches Licht vorhanden ist, gewöhnst du dich schnell daran. Neben dir liegt die Frau, die deine Feindin ist. Alle sind sie Feinde. Du musst weg. Leise stehst du auf, greifst nach deiner Kleidung. O ja, du hast gelernt, leise zu sein wie das Wild, das sich vorm Jäger versteckt. Der Wald lehrte dich alles, gab dir dein ganzes Sein.
Eine Stimme ruft nach dir. Sie singt in deinem Kopf. Windtänzers Stimme. Der Oberste wandelt sich. Der Oberste Baumsprecher verlangt nach dir. Und kam je ein Waldmensch nicht, wenn der Oberste Baumsprecher es wollte?
Du schleichst hinaus, lässt die schlafende Frau hinter dir. Sie ist böse, bei ihr bist du nicht sicher. Aber wo ist Sicherheit? Der lange Röhrengang vor dir ist kaum beleuchtet. Nur ein paar Dioden zeigen dir den Weg.
Lauert nicht dort in der Ecke ein Monster? Warten nicht auch sie auf dich, um dich von
Weitere Kostenlose Bücher