314 - Exodus
mit jedem Meter schlechter. Gereizt und unruhig musste sie wie unter einem Zwang immer wieder in die Wolken sehen. Fünf Schritte vor dem Luftschiff legte sie ihre Flasche ab. Sie hielt die Spannung nicht mehr aus. Ihr Körper war schweißgebadet, nicht nur von der Anstrengung. »Rulfan, spürst du auch, wie der Himmel...« Weiter kam sie nicht.
Hinter dem Luftschiff traten zehn Männer und zwei Frauen mit Maschinenpistolen hervor, die meisten in Uniform. Sie legten ihre Waffen auf Aruula und Rulfan an.
»Priwjét!«, sagte ein gut genährter Mann in tarnfarbener Uniform, während er ihnen entgegenging. Er trug ein schwarzes Tuch auf dem Kopf, das Aruula an einen Piraten erinnerte. Seine Züge wirkten flach, fast fliehend. Im Widerspruch dazu standen seine wässrig blauen Augen, die so intensiv starrten, als könnten sie durch Kleidung, Haut und Knochen hindurchsehen. »Mein Name ist Dimitro Agafon. Schön, dass ihr da seid. Ich habe mit euch zu reden.« Sein Englisch war wesentlich besser als das von Juri Ivanov. Trotzdem war er mit Sicherheit kein Clarkist.
»Reden?«, fragte Rulfan mit hochgezogenen Brauen und stellte seine Gasflaschen ab. Seine Blicke glitten über das beachtliche Waffenarsenal vor ihm.
Aruula starrte auf die Mündungen der Waffen – und spürte unmenschliche Wut in sich aufsteigen, die weit über das hinausging, was in gefährlichen Situationen wie dieser ratsam war. Warum sollte sie nicht einfach zum Schwert greifen und kurzen Prozess machen?
Ihre Hand zuckte hoch, doch Rulfan hielt den Arm fest. Natürlich, sie waren noch nicht nah genug dran. Aruula atmete tief ein, musterte die Feinde. Da entdeckte sie mitten unter den Angreifern das schwarze Gesicht von Jubov. Die afranische Frau musste sie verraten haben! Sie schenkte Aruula ein breites Grinsen, das zum Hineinschlagen einlud.
Agafon trat näher. Er schlenderte auf sie zu, als würde er einen Sonntagspaziergang machen. »Wenn Sie gestatten, sage ich Ihnen, wie es nun weitergeht, Genosse Barbar.«
Aruula konnte Rulfans Zähne bei dieser Anrede knirschen hören. Auch er hatte Jubov entdeckt und sah von ihr zu dem Anführer der Bande. »Lassen Sie mich raten: Sie wollen uns töten und sich das Luftschiff unter den Nagel reißen.«
»Töten? Njet!« Der dicke Agafon lachte väterlich auf. »Warum sollte ich wertvolle Ware verschwenden? Ich bin Händler, kein Mörder.«
»Pirat trifft es wohl eher«, warf Aruula ein.
Agafon lachte lauter. »Pirat. Nun ja, so lässt es sich auch nennen.« Er sah Aruula dabei nicht an und konzentrierte sich ganz auf Rulfan, als wäre nur er sein Gesprächspartner. »Hören Sie, Genosse Barbar, Sie haben kaum etwas zu befürchten, wenn Sie kooperativ sind. Sie erklären mir, wie dieses Luftschiff funktioniert, und dafür lasse ich ihre Towarischtschka am Leben.« Agafon klatschte einmal in die mit Ringen überladenen Hände und zeigte auf Aruula. Drei seiner Leute legten mit grimmigen Gesichtern auf sie an.
Rulfan ballte seine Hände zu Fäusten. Er schien verzweifelt einen Ausweg zu suchen.
Aruula wusste, dass sie Angst haben sollte. Die Mündungen der Waffen versprachen ein blutiges Ende. Aber die unnatürlich heftige Wut in ihrem Bauch ließ jede Gefahr zusammenschrumpfen. Sie spuckte nach Agafon. Der Speichel landete auf einem seiner schwarzen Stiefel und lief seitlich daran herab.
Dimitro Agafon setzte ein gekünsteltes Lächeln auf. »Zieht die Schlampe aus, und den Kerl auch. Mit Nackten lässt sich besser verhandeln. Dann steht ihnen ihr Stolz weniger im Weg.«
Seine Leute rückten vor. Aruula wollte erneut nach dem Schwert greifen, da traf sie ein Gewehrkolben an der Schulter und lähmte ihren Waffenarm. Sie sah, wie auch Rulfan versuchte, seine Laserpistole zu ziehen – vergebens. Grobe Hände packten sie, rissen ihr trotz Gegenwehr die Kleider vom Leib. Jubov nahm das Schwert an sich.
Der Himmel selbst schien plötzlich herabzufallen und in Aruula einzusinken. Sie keuchte auf, wurde ganz ruhig. Ihr Körper gehörte nicht mehr ihr. Sie war nur noch ein Instrument. Ein böses Lächeln trat auf ihre Lippen. Sie sah Rulfans verwunderten Blick.
»Das wird ein schöner Tanz«, flüsterte sie in der Sprache der Wandernden Völker. »Und Wudan wird dazu singen.«
Agafon sah sie verunsichert an, als fürchtete er, sie würde Magie gegen ihn einsetzen. »Du scheinst dich darauf zu freuen, eine Sklavin zu werden, Barbarin.«
Trotz der eindeutigen Situation hatte Aruula das Gefühl, dass sie der
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