314 - Exodus
an den Hydree. »Kommst du allein klar?«
Gilam’esh nickte in menschlicher Manier. Matt verlor keine weitere Zeit und rannte in sein Quartier zurück. In aller Eile zog er sich an. Vor dem Außenschott herrschten minus zwanzig Grad. Wenn er ohne Kleidung ging, würde er innerhalb kurzer Zeit erfrieren. So schnell er konnte, spurtete er los, zum Ausgang.
***
Xij! Komm schon, Xij. Du hörst mich. Du gehörst mir. Ich habe dich von einem Leben ins andere geschickt. Meine Gaben haben dich begleitet durch Tausende von Jahren. Komm, vollende, was wir begannen. Mach endlich Schluss, Liebes.
Xij hörte auf, hin und her zu pendeln. Sie saß ganz ruhig auf der Bionetikliege, lauschte auf die Stimme. War das der Schatten, den sie im Spiegel ihres Quartiers gesehen hatte? War er ihr gefolgt? Vorsichtig sah sie sich um, konnte aber außer Gilam’esh und Quart’ol niemanden im Raum sehen. Wer spricht dort?, dachte sie.
Xij, Liebes. Keine Fragen. Hör auf zu bummeln. Du bist doch keine Rotschnecke. Steh auf. Sag Gilam’esh, du gehst wieder in dein Quartier. Und dann tu es, solange Matt dich nicht aufhalten kann!
Langsam stand Xij auf. Sie fühlte sich wie ferngesteuert. Überrascht bemerkte sie, dass sich ihre Füße bewegten. Aber irgendwie war es richtig so. Sie musste tun, was die Stimme befahl. »Ich gehe in mein Quartier zurück und leg mich noch ein bisschen hin.«
»In Ordnung. Wir haben alle Ruhe nötig.« Gilam’esh war noch ganz mit Quart’ol beschäftigt. Seine Finger lagen auf einer Stelle neben Quart’ols Flossenkamm, er maß den Puls.
O ja , flüsterte die Stimme. Ruhe. Die sollte er haben, damit wir frei agieren können, Liebes. Aber lass dich nicht erwischen. Schieb es auf Quart’ol.
Ohne es zu wollen, griff Xij nach einem Blitzstab neben dem Lager. Gilam’esh beugte sich gerade von ihr fort, konnte sie hinter seinem Rücken nicht sehen. Schnell und wuchtig schlug sie mit dem Stab zu. Der Hydrit fiel mit einem dumpfen Geräusch nach vorn auf den Boden und blieb liegen.
Schön, Liebes, sehr schön. So können wir zusammenarbeiten.
Xij erinnerte sich plötzlich, dass die Stimme nicht das erste Mal zu ihr sprach. Sie war schon einmal da gewesen und hatte sie gedrängt, Leitungen in der äußeren Röhre zu zerstören. Aber sie hatte es vergessen. Wie hatte sie das vergessen können? Sie erstarrte. Was war nur mit ihr los? Panik stieg in ihr auf.
Xij, Liebes, nicht so viel denken. Spürst du nicht auch, wie der Streiter naht? Ich spüre es. Für uns beide. Das Ende kommt mit schwarzen Schwingen. Du aber hast noch eine Aufgabe.
Eine Aufgabe? , echote Xij. Sie betrachtete den unruhig schlafenden Quart’ol und den bewusstlosen Gilam’esh. Nein, das ist alles falsch. Sie versuchte sich gegen die Fremdsteuerung ihres Körpers zu wehren. Ihr war, als wäre in ihrem Gehirn ein Schalter umgelegt worden. Arme und Beine gehorchten nicht mehr ihr, sondern einer anderen.
Du weißt doch, welche , sagte die Stimme in ihr, ohne auf ihre Zweifel einzugehen. Wir müssen ihm schaden.
Wem? Xij versuchte zu begreifen, was die Stimme wollte. Die ganze Welt stürzte ins Chaos. Sie verstand gar nichts mehr. Kopfschmerz flammte in ihrer Stirn auf und schien ihr die Augen von innen ausbrennen zu wollen. Sie atmete scharf ein.
Wem wohl? Den, für den du meine Liebe verraten hast. Was glaubst du, warum ich dich durch die Zeiten getragen habe? Was war wohl mein Antrieb?
Neuer Schmerz flutete durch Xijs Kopf und ließ sie aufstöhnen. Sie wollte ihre Hände gegen die Schläfen pressen – es gelang ihr nicht. Ihr Körper gehörte nicht mehr ihr.
Er war mein Antrieb! Seinetwegen überlebte ich! Seinetwegen wechselte ich von Monster zu Monster, von Mensch zu Mensch, quer durch die Zeit! Weil ich wusste, dass er durch den Strahl geht und in der Zukunft auf mich wartet! Immer habe ich ihn gesucht. Und was tust du, als ich ihn endlich finde? Was tust du, als du Gilam’esh endlich triffst?
Xij keuchte. Die Brust wurde ihr eng. Sie begann zu begreifen, wer da die Kontrolle in ihr übernommen hatte. Du... Aber... ich erinnere mich nicht! Ich weiß kaum noch etwas von Rotgrund. Ich bin ein Mensch ! Ich bin Xij Hamlet!
Und ich bin Manil’bud. Deren Liebe du verraten hast.
***
Clarice hörte das Knirschen ihrer Stiefel auf dem Schnee. Es ging kaum Wind, sie fand die Fußspuren Voglers mühelos. Die Abdrücke zeichneten sich in gerader Linie vom Schott ausgehend zur Bionetikröhre ab, die aus der Eisspalte hinausführte.
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