327 - Mit eisernem Willen
um. Kräuter, Pflanzen und getrocknete Pilze lagerten in schief gearbeiteten Regalen. Es gab einen alten Kamin, in dem glühende Holzscheite lagen. Mehrere Körbe, einfache Arbeitsgeräte und Utensilien standen sorgfältig aufgereiht zu ihrer Rechten. Von der Decke hingen Kräuterbündel.
»Die Geister wollten, dass ich dich finde«, murmelte Kolchuu und setzte sich neben sie auf den Tisch. Er nahm ihre Hand in seine und begann erneut an ihrem Daumen herumzudrücken. Aruula bemerkte überrascht, dass der Schmerz in ihrer Wirbelsäule nachließ.
»So viel Leid in dir.« Missbilligend schüttelte Kolchuu den Kopf. »Haben die Feen ihren Schabernack mit dir getrieben? Sie können garstig sein, wenn der Sichelmond steht. Und der Mond macht mir ohnehin Sorgen, o ja. Es ist, als wäre der Bär, der auf ihm lebt, von einer Pranke aus Stein erschlagen worden. Aber zu dir. Was ist dir widerfahren?«
Aruula sah in Kolchuus braunschwarze Augen. Sie fand darin Verständnis und Anteilnahme. »Ich wurde überfallen«, brach es aus ihr heraus. »Zwei Räuber haben mir mein Schwert gestohlen, und ich verfolgte sie durch den Wald. Aber ich habe sie und den Pfad verloren.«
»Dir fehlt nicht nur das Schwert, wie mir scheint«, sagte der Alte nachdenklich. »Die Geister sagen mir, dass du noch viel mehr verloren hast, Mädchen.«
»Ich heiße Aruula.«
»Ein schöner Name. Aruula. Was ist dir noch abhandengekommen?« Er sah sie herausfordernd an. Sein Gesichtsausdruck wirkte gütig.
Aruula schluckte. Was sollte sie antworten? Den Mann, den ich liebe? Was ging das diesen alten Kauz an?
Kolchuu ließ ihr Zeit. Er massierte ihre Hand und die Schmerzen klangen nach und nach ab. Dann stand er auf und hängte einen kleinen Kessel über die Feuerstelle. »Ich mache dir einen Tee, der wird helfen.«
»Vielen Dank«, brachte Aruula hervor. Sie fühlte sich unwirklich. Gab es den Alten wirklich, oder fieberte sie vielleicht im Schlaf unter der Wurzel? War er eine Vision, so wie ihr schon Wudans Auge begegnet war?
Am Feuer pulte sich Kolchuu ungeniert in den Ohren und schnickte ein Klümpchen in die Flammen. Er wirkte sehr real. Und hatte Rulfan nicht erwähnt, dass es in einiger Entfernung ein oder zwei Einsiedler gab? Alte Männer, die mit ihren Clans nichts mehr zu tun haben wollten und sie schon vor Jahren verlassen hatten?
Kolchuu stellte ihr eine große Tasse hin. Aruula nahm vorsichtig einen Schluck Tee.
»Ich bin wütend!«, brach es plötzlich aus ihr heraus. »Ich bin so verdammt wütend auf diese verräterische Taratze! Ich folge ihm bis zum Ende der Welt, und was macht er? Entscheidet sich für eine andere. Und das Schlimmste ist, dass ich selbst schuld bin. Ich habe ihm Zeit gelassen, ließ ihn gehen. Ich hätte ihn packen und schütteln sollen, und zwar so lange, bis er einsieht, dass er unrecht hat! Ich wollte doch Ann nicht töten. Ich wollte es nicht.« Ihre Stimme wurde immer leiser. Tränen liefen über ihre Wangen. In Gedanken sah sie ihr Schwert fliegen und Ann zu Boden gehen. Blut breitete sich unter dem schmächtigen Körper aus. »Ich habe ein wehrloses Kind umgebracht. Wudan hasst mich«, stieß sie hervor.
Kolchuu sagte gar nichts. Es war nicht einmal ersichtlich, ob er ihr überhaupt zugehört hatte. Langsam trank Aruula den Tee aus. Ihr emotionaler Ausbruch hatte sie erschöpft. Sie konnte die Augen kaum offen halten.
»Leg dich hin, Aruula.« Der Alte wies großzügig auf sein Bärenfell. »Kolchuu passt auf dich auf. Und die Geister.« Er half Aruula beim Aufstehen.
Sie sackte auf dem Fell zusammen. Noch einmal flackerte ihr Misstrauen auf, doch sie war zu müde, um sich gegen den übermächtigen Schlaf zu wehren.
Als sie erwachte, drangen Sonnenstrahlen durch das Fenster. Der Schmerz begrüßte sie mit ihnen, doch er war erträglicher als in den letzten Tagen. Niedergeschlagen sah sie sich in der Hütte um. Kolchuu saß am Tisch, eine tönerne Tasse Tee neben sich. Er blickte freundlich zu ihr hin. »Ein guter Tag für eine Jagd. Auch wenn man ein Schwert jagt, was?«
Mit einiger Mühe gelang es Aruula, aus eigener Kraft aufzustehen und sich zu ihm an den Tisch zu stellen. »Was soll ich mein Schwert noch jagen, wenn ich nicht weiß, wo es ist?« Sie starrte auf die unregelmäßige Holzplatte. An manchen Stellen hatte sie tiefe Kratzer. Ihr Zeigefinger berührte eine der Kerben. Es war Zeit, sich das eigene Versagen einzugestehen und zu Rulfan und Myrial zurückzukehren.
»Kolchuu weiß, wo es
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