34 - Sendador 01 - Am Rio de la Plata
der Abend war nahe, als ich auf dem letzten Felsenabsatz ankam, welcher sich über den See erhob. Da sah ich meinen Bruder liegen, ganz drüben an der Kante des Absatzes. Ein Blutstreifen auf dem Bogen zeigte, daß er sich bis dorthin geschleppt hatte. Wir sprangen von den Tieren und eilten hin zu ihm. Er bewegte sich nicht.“
„Aber er war nur ohnmächtig?“
Gomarra antwortete nicht. Erst nach einer langen Pause sagte er:
„Soll ich Ihnen beschreiben, was ich empfand, was ich noch heute empfinde, wenn ich an jenen Augenblick denke? Nein! Nur wem dasselbe passiert ist, der kann mich verstehen!“
„Ich kann es mir denken.“
„Nein, auch denken nicht! Mein Bruder war mein zweites Ich und mir so lieb wie mein Leben. Damit ist alles gesagt. Es war mir, als ob ich den Schuß in meine eigene Brust erhalten hätte. Die Kugel war ihm in der Nähe des Herzens eingedrungen und hinten am Rücken wieder aus dem Leib gegangen. Ich warf mich über ihn und jammerte überlaut. Da öffnete er die Augen und sah mich an. Er lebte noch. Ich nahm mich mit aller Gewalt zusammen, um ruhig zu sein. Ich fragte ihn und legte mein Ohr an seine Lippen, um seine leisen Antworten zu hören, welche er nur hauchen konnte. Dann starb er.“
„Hoffentlich hat er Ihnen noch genug mitteilen können, so daß Sie wissen, wie die Tat geschehen ist?“
„Genug! Es war, als ob das Leben nicht eher von ihm weichen wolle, als bis er es mir offenbart habe.“
„Der Arriero war der Mörder?“
„Ja, natürlich. Und die schwarze Tat geschah jedenfalls, um ein Geheimnis zu verbergen. Mein Bruder fand sein Maultier sehr spät. Er ritt uns nach. Als er die erste Höhe erreichte, sah er zwei Maultiere am Felsen stehen. Daneben kauerte ein Mann, welcher im Begriff stand, eine Flasche zu vergraben. Mein Bruder befand sich, nachdem er um den Felsen gebogen war, sogleich hart neben ihm und rief ihn an. Der Mann erschrak, fuhr empor und starrte ihn erschrocken an. Dann aber riß er sein Gewehr empor und schoß auf meinen Bruder, ehe dieser sich zu wehren vermochte. Juan stürzte sogleich aus dem Sattel und verlor die Besinnung. Als er erwachte und um sich blicke, war er allein. Sein Maultier war fort, und das Loch, in welches der Mörder die Flasche hatte vergraben wollen, stand offen und leer. Er nahm seine Kraft zusammen und kroch nach der äußersten Kante des Felsens, um den Arriero vielleicht noch zu erblicken.“
„Gelang ihm das?“
„Ja. Der Mörder kniete unten am See und grub hart an einem Felsen ein zweites Loch. Drei Maultiere befanden sich bei ihm. Infolge der Anstrengung verlor Juan abermals die Besinnung. Er erwachte erst, als ich mich bei ihm befand. Als er mir das alles zugeflüstert hatte, starb er.“
„So hatte der Arriero ihn für tot gehalten?“
„Ja, und ihn vollständig ausgeraubt. Ich fand nicht den geringsten Gegenstand mehr bei ihm.“
„Konnte er Ihnen die Stelle am See bezeichnen, wo der Arriero das zweite Loch gemacht hatte?“
„Ja; ich merkte sie mir.“
„Und was taten Sie dann? Jagten Sie nicht dem Mörder nach?“
„Dazu war es zu spät, denn der Abend brach herein. Im Dunkel der Nacht konnte ich keine Spur sehen. Wir gruben dem Toten in der Dunkelheit ein Grab, damit die Condors seine Leiche nicht zum Fraß bekämen. Beim Morgengrauen begruben wir ihn, beteten drei Paternoster und Ave Maria an der Grube, deckten sie zu und legten ihm aus einzelnen Steinen ein Kreuz darauf. Dann trennten wir beide uns.“
„Warum trennen? Ein Gefährte mußte Ihnen doch notwendig sein!“
„Noch notwendiger war er dazu, die andern von dem Geschehen und daß ich den Mörder verfolgen werde, zu benachrichtigen. Auch hatte ich – – – noch einen andern Grund, ihn nicht mitzunehmen. Ich konnte mir denken, daß es sich mit der Flasche um ein Geheimnis handle. Das wollte ich keinen zweiten wissen lassen.“
„Aber er hatte doch von der Flasche gehört?“
„Nein. Mein Bruder konnte seine Worte nur hauchen, so daß kaum ich sie vernahm. Und was Juan mir sagte, habe ich dem Gefährten nicht alles gesagt.“
„Vielleicht war das klug, vielleicht auch unklug gehandelt. Sie haben also am Morgen die Verfolgung sofort aufgenommen?“
„Nicht sofort. Als der Kamerad sich entfernt hatte, bin ich erst nach dem See geritten, nach der Stelle, an welcher der Arriero das zweite Loch gemacht hatte. Während der Nacht hatte sich ein starker Wind erhoben; dennoch aber fand ich den Ort, da ich ihn mir oben von der
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