34° Ost
Abu-Mussa-Kommandos auch erscheinen mochte, ein solcher Sieg durfte ihnen einfach nicht zugestanden werden. Tate mußte mit seinen Truppen kommen, es blieb keine andere Wahl. Aber wenn es sich so verhielt, warum hatte dann Deborah Zadok die unerschütterliche Gewissheit, dass an diesem fremden Ort der Christenheit der Tod auf sie wartete?
Plötzlich wurde die Tür aufgerissen und Leila Jamil trat ein. Sie hatte das Beduinengewand abgelegt und trug einen Tarnanzug. Nun bemerkte Deborah erst, wie schlank die Araberin war; Sonnenglut und Entbehrungen hatten ihren Körper ausgedörrt und abgehärtet, ihm alles Weibliche genommen. Das kurz geschnittene schwarze Haar war grau meliert, aber das Gesicht wirkte noch jung: hohe, flache Backenknochen, schmale Augenbrauen, fein gebogene Nase und dunkle, weit auseinander gesetzte Augen. Ihre Waffe hatte sie draußen bei dem Posten gelassen. Sie blickte die Gefangene an; für einen Menschen, dessen Hass gegen die Juden berüchtigt war, trug sie eine überraschend neutrale Miene zur Schau.
»Du brauchst dich nicht zu fürchten«, sagte sie langsam auf hebräisch.
Deborah hielt dem prüfenden Blick stand und entgegnete in akzentfreiem Arabisch: »Ich fürchte mich nicht vor dir.«
»Ich vergaß, dass du eine Sabra bist«, sagte Leila ironisch.
Deborah schwieg.
»Ich bin gekommen, um dir zu sagen, dass die Amerikaner anrücken. Hast du die Hubschrauber gehört?«
Deborah blieb stumm. Sollte die Frau doch sagen, was sie zu sagen hatte. Sie spürte eine eigentümliche psychische Anspannung, die von der Araberin ausstrahlte.
»Einer der Hubschrauber ist im Tal gelandet, bei der Straße. Damit haben wir gerechnet. Sie werden kommen und sich vor den Mauern postieren, das wird aber auch schon alles sein. Leč versucht über eines der erbeuteten Funkgeräte Kontakt mit ihnen aufzunehmen. Wenn die Amerikaner auf unsere Bedingungen eingehen, wird niemandem ein Haar gekrümmt.«
»Außer denen, die bereits tot sind«, erwiderte Deborah.
Leila zuckte die Achseln. »In jedem Befreiungskampf gibt es Verluste.«
Deborahs Gesicht zeigte deutlich, was sie von dieser Erklärung hielt.
»Wir sind bereit, für unsere Überzeugung zu sterben«, sagte die Araberin. »Du nicht?«
»Das fragst du eine Jüdin? Seltsam!«
»Ich könnte dich freilassen, damit du den Amerikanern und deinen Leuten unsere Forderungen überbringst. Was meinst du dazu?«
»Ich glaube dir nicht.«
»Wir verlangen die Freilassung aller in Israel eingekerkerten Kämpfer der Arabischen Front …«
»Das wird unsere Regierung ablehnen.«
»Diesmal nicht. In Amerika hat es eine Flugzeugkatastrophe gegeben. Der Mann, den wir in der Basilika festhalten, ist nun Präsident der USA.«
»Auch das glaube ich nicht.«
»Es ist wahr. Gestern ist der amerikanische Präsident gestorben. Wir haben seinen Nachfolger als Geisel. Nun können wir alles erreichen, was wir wollen. Alles. Es gibt nichts, was unmöglich wäre.«
Stumm setzte sich Deborah nieder. Sie spürte das schwere, lautlose Pochen ihres Herzens.
»Alle arabischen Gefangenen müssen befreit und alle geraubten arabischen Territorien zurückgegeben werden. Wir werden Reparationen beanspruchen. Eine Summe in der Höhe von 500 Millionen Dollar.«
»Ihr seid irrsinnig.«
Leila schloß einen Moment die Augen. Deborah sah, dass sie vor Übermüdung schwankte. »Alle Amerikaner, Russen und Israelis werden aus Sinai abziehen und ihre Fahrzeuge, Waffen und Flugzeuge, die gesamte Ausrüstung zurücklassen.«
»Völlig irrsinnig«, flüsterte Deborah. Diese Frau war zu lange im Kampf gestanden, hatte zu oft verloren und sich für eine aussichtslose Sache aufgeopfert, sie konnte nicht mehr realistisch denken. Deborah empfand fast Mitleid mit ihr. Kein Mensch – und gewiß keine Frau – sollte ein ganzes Leben wie Leila Jamil verbringen müssen, als eine einzige Kette von Gewalttaten und immer auf der Flucht.
Die Araberin schien Deborahs Gedanken zu erraten, und sie geriet in Wut. Sie trat vor und schlug Deborah mit aller Kraft ins Gesicht. Deborah taumelte und duckte sich instinktiv, um einem zweiten Hieb auszuweichen.
Der Guerilla auf dem Gang öffnete die Tür und schob seine Waffe durch den Spalt. Leila fuhr herum und schrie ihn an: »Verschwinde! Weg, weg!«
Sie packte Deborah bei den Haaren und wollte sie nochmals schlagen, aber nun wehrte die sich. In der Umklammerung fühlte sich Leilas Körper an wie aus festen Lederriemen zusammengeflochten. Sie stieß
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