34° Ost
politisches Schuldenkonto aufwies, steckte bereits im Catoctin-Bunker und erhielt nur das mitgeteilt, was der Vorsitzende der Vereinigten Stabschefs für nötig und geboten erachtete.
Ainsworth rieb sich die Augen, dann fiel sein Blick auf die Reihe von Weltzeit-Chronometern. In Washington war es 02.45 Uhr. Ein Tag und eine halbe Nacht waren verstrichen. An diesem weltabgeschiedenen, zeitlosen Ort fiel es einem schwer, sich vorzustellen, dass volle vierundzwanzig Stunden seit dem Absturz von ›Air Force One‹ vergangen waren. Um 13.00 oder 20.00 Uhr sollte in New York der Sicherheitsrat zu einer außerordentlichen Sitzung zusammentreten. Wie immer, wurde zuwenig getan, und dieses Wenige auch noch zu spät.
Auf Sinai war es 09.45 Uhr, helles Tageslicht für den anbefohlenen Einsatz der Marines. Die USS ›Sikorsky‹, der neue Atom-Helikopterträger der Sechsten Flotte, hatte gemeldet, dass die Marines schon in der Luft wären und sich der Nordküste Sinais näherten, eskortiert von einer Shrike-Staffel. Was immer der Außenminister der Nation mitteilen mochte – noch vor Morgengrauen war das Katharinenkloster gestürmt, war der Augenblick gekommen, in dem Fowler Beal vor das Volk treten konnte, um den Amerikanern zu eröffnen, dass sie einen neuen – rechtmäßigen – Präsidenten hatten.
Der Admiral konzentrierte seine Aufmerksamkeit auf die Sendung. Soeben hatte der Moderator angekündigt, der Außenminister habe eine Erklärung an die Nation abzugeben. Ainsworth hörte mit wachsendem Unmut zu.
»Amerikanische Mitbürger«, begann der Minister, ein weißhaariger, distinguierter Mann, »hier im Studio sind mit mir einige Männer versammelt, auf die der verstorbene Präsident bei der Lenkung der Staatsgeschäfte am meisten zählte …«
Natürlich fehlte in dieser Verschwörung der Liberalen eine Schlüsselfigur: Talcott Quincy Bailey, dessen Tod die Marines innerhalb der nächsten Stunden bestätigen würden. Und außerdem Fowler Litton Beal, der gewiß auch mit dabei wäre, hätte ihn der Admiral nicht in kluger Voraussicht an einen Ort bringen lassen, wo willensstarke, bewährte Männer seinen schwachen Charakter stützen konnten.
»… wir, die wir ihn kannten und mit ihm zusammenarbeiteten, teilen die Trauer und Bestürzung der Nation.« Die dünne Stimme des Ministers schwankte und brach plötzlich ab. Dann fand er seine Fassung wieder. »Aber Sie, die Bürger, haben ein Recht, zu erfahren, wieso Vizepräsident Bailey nicht vor Ihnen erscheint, um den Amtseid zu leisten und die Verantwortung für die Geschicke der Nation zu übernehmen.« Der Minister raschelte mit den Blättern, die vor ihm lagen, und als er sie emporhob, sah Ainsworth, dass seine Hände stark zitterten. Der Mann hatte Angst. Der Admiral preßte die Lippen zu einem schmalen Strich zusammen. Es war erst ein Jahr her, dass er dem Sicherheitsausschuß einen Entwurf vorgelegt hatte, wonach in Notstandssituationen die Fernsehgesellschaften einer gewissen Zensur unterworfen werden sollten. Aber sein Vorschlag war entsetzt zurückgewiesen worden. Wäre er mit seinem Projekt durchgedrungen, würde dieses Eingeständnis kläglicher Schwäche niemals auf dem Bildschirm sichtbar geworden sein.
»Wie Sie wissen, wurde Vizepräsident Bailey vom Präsidenten auf die Sinai-Halbinsel entsandt, um bei einem Treffen mit dem sowjetischen Stellvertretenden Ministerpräsidenten Anatolij Rostow die Erneuerung des Zypernabkommens zu unterzeichnen«, fuhr der Minister fort. »Ich muß Ihnen nun sagen, dass einige der vielen Gerüchte, die seit vierundzwanzig Stunden in Umlauf sind, auf Wahrheit beruhen.«
Der Mann ist ein Narr, dachte Ainsworth. Er wird tatsächlich zugeben, dass arabische Guerillas Bailey als Geisel festhalten! Hatte er denn jedes Empfinden für die Mentalität des Durchschnittsamerikaners verloren; war er so weit, dass er gar nicht mehr begriff, welche Empörung eine solche Erklärung hervorrufen mußte?
»Es kam zu einem – Vorfall in der entmilitarisierten Zone«, sagte der Minister.
Ein ›Vorfall‹? Lief das Geschwätz darauf hinaus, die akute Gefahr für die Nation zu bagatellisieren?
»Die Gruppe des Vizepräsidenten stieß auf eine Gruppe arabischer Nationalisten, die aus eigenem Antrieb – diesen Punkt muß ich betonen: völlig aus eigenem Antrieb – den Vizepräsidenten festhalten und nun für seine Freilassung gewisse Bedingungen stellen.«
Ainsworth setzte sich kerzengerade, die Zornröte schoß ihm ins
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