34° Ost
Entscheidungskampf zwischen den Mächten des Lichtes und der Finsternis, gerade hier, auf diesem öden, geheiligten Boden, stattfinden sollte? Aus diesem Land waren die Zehn Gebote gekommen, und eben weil die Menschen jene in Stein gemeißelten Mahnungen missachtet hatten, wurde nun diese – vielleicht allerletzte – Krise der Erde heraufbeschworen.
Ein Dutzend Kilometer weiter südlich stieg das Gebirge steil zu jener sattelförmigen Erhebung an, die den Namen Berg Sinai trug. Bill Tate hielt Kurs auf diese Horizontlinie. Er versuchte sich ein Bild seines Gegners zu machen, des politischen Abenteurers Enver Leč aus Albanien. Seltsam, dass sie noch nie aufeinander getroffen waren, dachte der General. Sie hatten als Feinde oft auf denselben Kriegsschauplätzen gekämpft, beide nach ziemlich gleichen Taktiken. In Vietnam natürlich, auch in Thailand. Wie oft hatten sich ihre Wege gekreuzt, während jeder von ihnen im Dienst einer Idee als Soldat durch die Welt zog? Nun würden sie einander zum ersten und entscheidenden Mal begegnen, Aug in Auge.
Ulanin beugte sich vor und sagte Tate ins Ohr: »Wie lange noch?«
»Zehn Minuten.«
Nun sah Tate in der Nähe einen Dragonfly-Hubschrauber, der unruhig Schleifen am Fuß des kahlen Berges zog. Darunter, im flachen Talgrund, wurden die Zypressen und bebaute Streifen Land nördlich des Klosters sichtbar.
Er flog einmal durch das Tal und wieder zurück, um die Positionen seiner Einheiten aus Es Schu'uts festzustellen. Das Kommando hatte sich in sieben Gruppen aufgeteilt und den Klosterbau abgeriegelt. Aber das waren bloß die üblichen schulmäßigen Taktiken, um zu verhindern, dass die eingeschlossenen Guerillas Verstärkung von außen erhielten. Im Kloster konnten sich höchstens ein Dutzend Bewaffnete befinden. Ihre Stärke lag nicht in der Zahl.
Als Tate den Bau direkt überflog, sah er, dass Emersons Leichnam von der Mauer verschwunden war, ein anderer stand jetzt zwischen den arabischen Wachen. Jäh durchzuckte den General die Angst, dass diese zweite Geisel, die Leč opfern wollte, Deborah sein könnte. Er zog eine steile Kurve und durchquerte nochmals im Tiefflug, möglichst nahe vor der Mauer, das Tal. Nein, es war nicht Deborah, die dort mit der Schlinge um den Hals wartete, sondern ein bärtiger Mann -Baileys Sekretär Bronstein.
Tate ließ den blauen Hubschrauber einen Moment in einiger Entfernung von den Bauten schweben, dann setzte er in einer Staubschwade auf. Sofort kamen seine Offiziere im Laufschritt heran, gegen den Wind der Rotorblätter vorgebeugt. Erstaunt rissen sie die Augen auf, als sie in der Maschine auch Russen sahen, nahmen aber weiter keine Notiz davon, salutierten und umdrängten erwartungsvoll ihren Kommandeur.
Der General fragte nach den Lageplänen des Klosters und dem israelischen Dolmetsch. Dieser erwies sich als ein junger Mann mit Stirnglatze. Eigentlich war er Dozent für Archäologie am Weizmann-Institut und wurde nur fallweise zur militärischen Dienstleistung herangezogen. Er grüßte betont lässig, wie es bei den Israelis üblich war, und stellte sich als Captain Elman vor. »Ich spreche Griechisch, Russisch, Amharisch, Englisch – und natürlich auch Hebräisch«, sagte er.
»Haben Sie hier in Sinai gearbeitet?«
»Meinen Sie direkt im Kloster? Nein, Sir.« Die dunklen Augen leuchteten auf. »Aber ich wäre für die Möglichkeit sehr dankbar, denn ich könnte mir keine ergiebigere Grabungsstätte denken. Diese Anlage stammt aus der Zeit von …«
»… Justinian, ja, ich weiß. Das ist äußerst interessant, aber ich möchte etwas anderes von Ihnen: Zeigen Sie diese Pläne einem der Diakone und lassen Sie sich von ihm alle oberirdischen Zugänge zum Beinhaus des Klosters angeben. Dann bitten Sie ihn um zwei Mönchshabite – Kutten, Mützen, alles was dazugehört. Zwei! Eine davon muß diesem Sergeant hier passen.« Tate wies auf Robinson. »Seine Größe wird wohl nicht leicht zu finden sein, aber versuchen Sie Ihr Bestes.«
»Jawohl, General.« Captain Elman lief durch das Tal zu der Stelle, wo die Mönche ihre toten Mitbrüder nebeneinander in den Sand gebettet hatten.
Tate machte seine versammelten Offiziere zunächst mit Ulanin bekannt. »Der General ist als offizieller Beobachter des sowjetischen Kontingents mitgekommen und um uns gegebenenfalls nach Kräften zu unterstützen.« Mit einem Blick streifte er die feindseligen jungen Gesichter unter den blauen Baretten. »Meine Herren, ich glaube, gerade das
Weitere Kostenlose Bücher