34° Ost
seltsam unberührt von dem, was vor wenigen Minuten auf dem Hauptplatz vor sich gegangen war. Seit den unwirklichen Tagen im Gefangenenlager in einem Vorort von Hanoi hatte er dieses Gefühl nicht mehr gekannt. Mit der gleichen eigenartigen Mischung aus Furcht und Gleichgültigkeit hatte er die Bomben auf den Hafen und den Frachtenbahnhof fallen gehört. Damals war es sein Hass gegen die schlitzäugigen Teufel gewesen, der ihn bei gesundem Verstand erhalten hatte. Jetzt war es wohl die heftige Abneigung gegen General William Tecumseh Tate, die den gleichen Zweck erfüllte. Der Unterschied war ja nicht sehr groß, dachte er und leerte sein Glas.
Ganz andere Gefühle bewegten Bill Tate, während er Baileys Kolonne aus dem Lager rollen sah.
»Ein echter Mann des Volkes, wie er so dahinfährt«, hörte er eine Stimme neben sich. »Finden Sie nicht? Ein Trupp Soldaten, mehr nicht.«
Tate wandte überrascht den Kopf. Neben ihm stand Sam Donaldson.
»Es ist sein gutes Recht, zu fahren, wie es ihm beliebt.«
Donaldson fuhr sich mit der Hand über sein kurz geschnittenes graues Haar. »Rostow wird in größerem Stil aufkreuzen.«
»Vermutlich«, erwiderte Tate. Er sah die letzten Wagen der Kolonne das ›Glashaus‹ passieren. Sie spiegelten sich in den riesigen Scheiben. Er machte kehrt und schlug den Weg zum Hubschrauberlandeplatz ein. Donaldson hielt Schritt mit ihm. »Trask hat sich heute Nacht in der Offiziersbar besoffen«, sagte er. »Was werden Sie mit ihm machen?«
Tate unterdrückte eine zunehmende Abneigung gegen Donaldson – eine Abneigung, die er noch im gleichen Augenblick als unfair erkannte. Der CIA-Mann tat nur seine Pflicht, wenn er solche Fragen stellte – so aufdringlich und unverschämt sie auch klingen mochten.
»Ich habe mich noch nicht entschieden«, antwortete er, und das stimmte auch. Er würde Trask ablösen und nach Washington zurückbeordern müssen, aber der richtige Zeitpunkt bedurfte noch einiger Überlegung. Solange sich der Vizepräsident in der entmilitarisierten Zone aufhielt, war nichts zu machen, wenn es nicht so aussehen sollte, als hätte man politischem Druck nachgegeben.
»Es hat da einen kleinen Wortwechsel zwischen ihm und Liz Adams gegeben – über Sie.«
Tate blieb abrupt stehen, mit wachsendem Zorn starrte er Donaldson an.
»Tut mir leid, General. Aber Sie sollten wissen, dass sich Captain Adams heute Nacht vor der Baracke der Israelis herumgetrieben hat.«
Tate sagte mit beherrschter Stimme: »Das reicht, Sam. Sagen Sie kein Wort mehr.«
»Tut mir leid, General. Ich tue nur meine Arbeit. Sie sitzen auf einer Bombe, und es ist meine Pflicht, Sie darauf hinzuweisen.«
Jedes Wort sorgsam betonend, sagte Tate kalt: »Beschränken Sie sich darauf, mich über unsere Gegner zu informieren. Ich wünsche keinen Klatsch über Colonel Trask, Captain Adams oder sonst jemanden zu hören. Habe ich mich klar ausgedrückt?«
Donaldson starrte Tate an, ohne eine Miene zu verziehen. Schließlich wandte er den Blick ab und meinte: »Wenn Sie es so haben wollen, General …«
»Genau so will ich es haben«, erwiderte Tate und ging weiter zum Hubschrauberlandeplatz. Er kochte vor Wut, hauptsächlich deshalb, weil er genau wußte, dass er Donaldson zu Unrecht heruntergeputzt hatte. Der CIA-Mann hatte nur getan, was er zu tun beauftragt war: den Kommandeur über alles, was in seinem Kommando vorging, auf dem laufenden zu halten. Aber was war das für eine Geschichte mit Liz Adams? Sie hätte ihm nachspioniert? Absurd. Die farblose, treue Liz schlich sich doch nicht nachts herum, um ihre Nase in das Sexualleben ihres Kommandeurs zu stecken! Oder doch?
Verdammt noch mal, seit Bailey und seine Zivilisten im Sektor waren, ging alles drunter und drüber. Die verlässlichsten Leute benahmen sich wie hirnlose Narren. Mit gerunzelter Stirn und übelster Laune kam er zum Flugplatz. Beaufort und Anspaugh sprangen vom wartenden Hubschrauber und salutierten.
»Los, los!« sagte er gereizt. »Einsteigen und ab! Wir begleiten den Konvoi bis Thamad, Bewegt euch!«
Der Pilot und der Sergeant kletterten an Bord, Tate ließ sich auf dem Platz rechts neben der offenen Tür nieder. Anspaugh wollte ihm helfen, den Gurt anzulegen, aber er wehrte ungeduldig ab. »Lassen Sie das, Sergeant. Los jetzt!«
Während der Hubschrauber von der Rampe abhob, setzte Tate seinen Helm auf und zog den Gurt an. Es war falsch, der üblen Laune nachzugeben; er mußte wieder Ruhe finden. Wind und Geratter kamen
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